Die Mörder von Paris sind keine „Irren“ im volkstümlichen Sinn

Auf die Frage, ob die Mörder von Paris psychisch Kranke im klinischen Sinne sind, antwortet Nahlah Saimeh: „Nein. Zwar sind terroristische Ausbildungslager für dissoziale, psychopathische junge Männer anziehend. Diese Orte sind ein Eldorado der hemmungslosen, sadistischen Gewaltausübung. Sie können dort morden und vergewaltigen, und das noch mit Absolution.“ Außerdem entspricht Gewalt und Terror dem hypermaskulinen Rollenstereotyp von Härte und Unerschrockenheit. Aber auch diese Leute sind für Nahlah Saimeh keine „Irren“ im volkstümlichen Sinn, denn sie haben nicht den kompletten Bezug zur Realität verloren, wie es bei Psychosen oder Schizophrenien der Fall sein kann. Das gilt auch für die Mörder von Paris. Nahlah Saimeh ist Ärztliche Direktorin des LWL-Zentrums für forensische Psychiatrie in Lippstadt, Westfalen. Im Jahr 2012 erschien ihr Buch „Jeder kann zum Mörder werden“.

Viele Gewalttäter leiden an Persönlichkeitsstörungen

Der aktuelle Terror von Paris oder erst recht Aktionen wie die Anschläge von 9/11 in New York verlangen ja eine langfristige Planung, eine ausgereifte Logistik, überhaupt ein sehr überlegtes Vorgehen. Es gibt Ziele, Strategien, Taktiken – dafür brauch die Terroristen eine beträchtliche psychische Stabilität. Nahlah Saimeh erklärt: „Der Verdacht, nur Wahnsinnige könnten so morden, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass wir seit 70 Jahren eine historisch einzigartige Zeit des friedlichen Zusammenlebens erlebt haben.“

Blutige Gewalt scheint heute etwas Unnormales zu sein. Dabei muss man nur an das 3. Reich zurückdenken. Während dieser Zeit haben völlig normale Menschen schwerste Gräueltaten begangen. Dennoch weist ein großer Teil der verurteilten Gewalttäter in Strafvollzugsanstalten psychische Störungen auf. Dabei handelt es sich in der Regel um Persönlichkeitsstörungen wie etwa Borderline-Störungen. Aber auch diese Leute haben einen Kontakt zur Realität, auch wenn sie manches verzerrt wahrnehmen.

Terroristen haben oft das Gefühl der Benachteiligung

Nahlah Saimeh hält es für falsch, jeden Anschlag oder auch nur jedes schwere Gewaltverbrechen medizinisch zu interpretieren. Denn das lenkt die Diskussion in eine falsche Richtung. Nahlah Saimeh erläutert: „Die Psychiatrisierung des Terrorismus bagatellisiert ihn, weil er ihn auf die individuelle Pathologie reduziert. Dabei spielen doch auch soziologische, historische, religiöse Gründe eine Rolle. Außerdem impliziert er die Annahme, nur kranke Menschen könnten zu Terroristen werden. Das stimmt aber eben nicht.“

Bislang ist keine für Terroristen hochspezifische Persönlichkeitsstörung gefunden worden. Aber es gibt laut Nahlah Saimeh strukturell beschreibbare Auffälligkeiten im Denken und der damit verbundenen persönlichen Entwicklung, nämlich die Radikalisierung und die Fanatisierung. Der Terror basiert auf den außen verlagerten inneren Feind. Nahlah Saimeh erklärt: „Kristallisations- und Ausgangspunkt ist fast immer das subjektive Erleben einer massiven Ungerechtigkeit und ein Gefühl von Unterlegenheit und Benachteiligung.“ Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies