Mike Hulme weist auf die kulturelle Dimension des Klimas hin

Der Begriff des Klimas hat für die Menschen schon seit Urzeiten eine viel tiefere und hintergründigere Bedeutung gehabt, als eine rein naturwissenschaftliche. Die biologische Evolution des Menschen wurde durch Schwankungen des Klimas geprägt, durch gefährliche, dem modernen Menschen unbekannte Begegnungen mit Klimaphänomenen. Mike Hulme ergänzt: „Unsere kulturelle Evolution beinhaltet vielfältige Wege, um die Wirkungsweisen von Klima zu mythologisieren und zu zähmen.“ Zum Beispiel kann die Spur des Flutmythos über viele frühe Kulturen hinweg nachverfolgt werden. Der amerikanische Kulturhistoriker Clarence Glacken hat das Werk „Traces on a Rhodian Shore“ veröffentlicht, in dem er beschreibt, wie die Vorstellung von Klima im westlichen Gedankengut genutzt wurde, um menschliche Charaktereigenschaften, Aktivitäten und Kulturen zu erklären. Seit September 2013 ist Mike Hulme Professor für Geographie am King´s College in London.

Das Klima kann sogar als Gestalter des menschlichen Glücks wirken

Der griechische Gelehrte Hippokrates war im 4. Jahrhundert vor Christus der Erste, der in seiner Schrift „Lüfte, Wässer und Orte“ solche Assoziationen aus dem Zusammenspiel der Geschichte der Medizin, Geografie und Anthropologie entwickelte. In der Vorstellung des Hippokrates wirkt die physikalische Ausprägung des Klimas als Beschränkung für bestimmte menschliche Aktivitäten und als Gestalter des menschlichen Glücks. Für Mike Hulme ist die Enge der Beziehung zwischen Klima und Kultur nirgendwo besser illustriert als im Falle Ägyptens und des Nils.

Die Vorstellungen, die sich Menschen über das Klima machen, interagiert auch in einer weniger materiellen, sondern eher imaginativen Weise mit der Psyche und mit Praktiken in der Kultur. Das Klima ist häufig auch ein Bestandteil der nationalen Identität und auf vielfältige Weise in verschiedene Bereiche der gesellschaftlichen Erinnerung eingebunden. Mike Hulme fügt hinzu: „Dagegen dienen Klimaextreme sowohl in modernen als auch in traditionellen Kulturen eher als Anker für persönliche Erinnerungen.“

Früher galten extreme Wetter als Zeichen eines göttlichen Urteils

Die persönlichen Erfahrungen mit dem Klima setzen mächtige Gefühle frei, die sowohl beängstigend als auch beruhigend sein können. Mike Hulme verweist dabei auf Studien, die zum Beispiel Zusammenhänge zwischen Klimaschwankungen und der sexuellen Aktivität oder der Häufigkeit von Selbstmorden nachgewiesen haben. Tatsächlich verläuft durch die menschliche Erfahrungswelt von tatsächlichem Klima und unserer Erwartung an ein vorhergesagtes Klima ein Gefühl von Besorgnis und Furcht.

L. Boia stellt fest: „Die Geschichte der Menschheit ist von einer endemischen Angst gekennzeichnet (…) es ist, als ob etwas oder jemand ruhelos versucht, die Triebkräfte der Welt zu sabotieren – und insbesondere ihr Klima.“ Bis zum 18. Jahrhundert wurden das Wetter und das Klima durch qualitative und bildhafte Begriffe beschrieben: sie konnten Schönheit oder Wohlstand ausdrücken, aber auch Bedrohung oder Gefahr, wodurch sie für gewöhnlich eine unheilvolle Bedeutung in sich trugen. Mike Hulme erklärt: „Erfahrungen mit extremen Wetter – sowie mit anderen natürlichen Phänomenen wie Erdbeben – wurden durch Individuen und Kulturen lange Zeit als Zeichen eines göttlichen Segens oder Urteils interpretiert.“

Von Hans Klumbies