Diverse Therapien sind für auffällige Schüler kein Allheilmittel

Es vergeht kaum ein Tag bei Michael Hauchs Arbeit als Kinder- und Jugendarzt, an dem ihn nicht verunsicherte Eltern um Physio-, Ergotherapie- oder Logopädieverordnungen für ihre Kinder bitten, sich aus seiner ärztlichen Sicht allerdings altersgerecht entwickelt haben. Geschickt werden sie vor allem von Lehrern aus der Grundschule. Am liebsten gleich mit einer fertigen Diagnose: „Ihr Kind hat eine Sprachstörung und eine Lese-Rechtschreib-Störung.“ Andere Befunde lauten, dass das Kind hyperaktiv ist oder vermutlich wahrnehmungsgestört. Meist stehen die Eltern dann vor Michael Hauch und haben neben diesen Diagnosen schon gleich einen fertigen Vorschlag für eine Therapie dabei: „Mir wurde gesagt, dass mein Kind dringend Ergotherapie braucht.“ In vielen Fällen hat die Schule den Eltern gleich noch einen geeigneten Therapeuten empfohlen.  Michael Hauch ist seit über zwanzig Jahren niedergelassener Kinder- und Jugendarzt in Düsseldorf.

Auffälligkeiten im Verhalten nehmen bei Kindern zu

Das ärztliche Rezept ist laut Michael Hauch die Lösung für Probleme, die entstehen, weil Eltern und Lehrer ihrer Aufgabe, Kinder bei ihrer individuellen Entwicklung zu begleiten, nicht mehr nachkommen. Michael Hauch fügt hinzu: „Inzwischen bekommt in Deutschland je nach statistischer Quelle jedes vierte oder sogar dritte Kind unter 15 Jahren Physiotherapie, Ergotherapie oder Sprachtherapie verordnet.“ Unbehandelt können Defizite bei der kindlichen Entwicklung und Auffälligkeiten im Verhalten tatsächlich den Lebensweg eines Kindes erheblich beeinträchtigen.

Michael Hauch weist darauf hin, dass die Kinderärzte nicht vor zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen, vor allem im Bereich der Konzentration, Sprache und Motorik, die Augen verschließen. Michael Hauch nennt eine Ursache für diese bedenklichen Entwicklungen: „Bei den meisten auffälligen und gestörten Kindern fehlt es an ausreichender Anregung in den Familien.“ Wo von morgens bis abends der Fernseher oder die Spielkonsole läuft, dort verkümmern die geistigen und körperlichen Anlagen, mit denen Kinder auf die Welt kommen.

Die meisten Verhaltensstörungen treten bei Jungen auf

Dieses Phänomen ist überwiegend in armen, bildungsfernen Familien anzutreffen, in Familien mit ausländischen Wurzeln, in Familien, in denen sich beide Elternteile in schlechtbezahlten Jobs aufreiben und in Familien mit nur einem Elternteil. Die meisten Verhaltensstörungen treten bei Jungen auf. Michael Hauch erläutert: „Ihr generell größerer Bewegungsdrang, ihre nach außen gerichteten Aggressionen, ihr verglichen mit Mädchen anderes, langsameres Entwicklungstempo werden in den Grundschulen nicht mehr als Standard oder Ressource bewertet, sondern als Nachteil.“

Doch Therapien sind für Michael Hauch kein Allheilmittel. Keine noch so gute Therapie kann seiner Meinung nach die durch familiäre Vernachlässigung entstandene Verhaltens- und Entwicklungsstörungen bei Kindern einfach reparieren. Michael Hauch fügt hinzu: „Keine noch so langwierige Logopädie kann etwa das Sprachdefizit ausgleichen, das entsteht, weil Mutter oder Vater nur schlecht oder gar kein Deutsch sprechen. Oder weil in der Familie überhaupt nicht miteinander gesprochen wird. Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Von Hans Klumbies