Maurice Merleau-Pontys Philosophie der Leiblichkeit

Den Leib, über den er philosophiert, fasst Maurice Merleau-Ponty als ein Subjekt auf, der dem Menschen die Dinglichkeit und die Mitmenschen erschließt. Er ist so stark zu allem und jenem geöffnet, dass er durch seine Haut nur scheinbar begrenzt wird. In Wirklichkeit reicht er bis zum Horizont, wo die Sicht und die Gefühle enden. Wo Menschen kooperieren, verstehen sie sich gleichsam von Leib zu Leib. In dieser wechselseitigen Berührung der Seelen im Verständigungsprozess schwingt nicht selten ein erotischer Moment mit. Die Erotik ist laut Maurice Merleau-Ponty die dem Menschen gegebene Möglichkeit, sich mit einem Du ohne Sprache zu einigen, wobei jeder dem anderen dazu verhilft, das Wohnen im Leibe und damit in der Welt zu verwirklichen.

Der Leib sucht ständig nach dem Sinn des Lebens

Da das sexuelle Glück eine existentielle Beglückung ist, stellt der Philosoph die Frage, ob es eine tiefe Erfüllung des Menschendaseins ohne jenen vollen Genuss der Leiblichkeit geben kann, der in der erfüllten sexuellen Vereinigung zustande kommt. Maurice Merleau-Ponty beschreibt den Leib als Ganzes als Sinnsucher, Sinngestalter und Sinnerfinder. Die unablässige Tätigkeit des Leibes ist es, inmitten des Seins zu wohnen und ihm einen Sinn abzutrotzen.

Das Sein ist im Rätsel der weltoffenen Leiblichkeit zu finden, im Stauen angesichts einer Welt, dessen Teil der Mensch ist. „Ich kann“ ist höher zu bewerten als „ich denke“, da der Geist nichts anderes ist als das eigentliche Lebenskönnen, die innere und äußere Wendigkeit des Leibes, der sich in Situationen einlässt und in ihr die Arbeit der Enthüllung leistet.

Maurice Merleau-Ponty: „Der Mensch ist sowohl frei als auch unfrei“

Der Leib erfährt seine Gebundenheit und seine Freiheit, seine Endlichkeit und seine Träume von der Unendlichkeit her. Nur in Notlagen ist er auf sich selbst zurückgeworfen. Maurice Merleau-Ponty begreift daher viele Krankheiten als Situationsverlust, in denen der Mensch nicht mehr auf seine Weise in den Lebensumständen eine Sinn finden und verwirklichen kann.

Noch schlimmer ist es für den Menschen, wenn er alle Situationen preisgibt, so dass nur noch die physikalische Ordnung der Leiblichkeit zurück bleibt, wobei sich Lebendiges in Totes verwandelt. Philosophieren heißt für Maurice Merleau-Ponty, die Welt als den vertrauten Ort des Lebens der Menschen, als eine Wiege aller Bedeutungen und als den Boden aller Gedanken zu erfahren.

Der Mensch muss sich dabei immer aufs Neue in das geheime und geheimnisvolle Zusammenwirken von Leib und Welt vertiefen, aus dem alle Rationalität, Vernunft und Wissenschaft entsteht. Jean-Paul Sartre sagte, dass der Mensch zur Freiheit verurteilt ist, während Maurice Merleau-Ponty der Ansicht ist, dass das Individuum sowohl frei als auch unfrei ist, weil es ein Stück Welt ist. Dadurch unterliegt es den Naturgesetzen, nimmt sich selbst wahr und ist sich seiner selbst bewusst.

Kurzbiographie: Maurice Merleau-Ponty

Maurice Merleau-Ponty wurde am 14. März 1908 in Rochefort-sur-Mer geboren. Er besuchte die Mittelschule und die Ecole Normale Supérieure in Paris. 1930 legte er sein Examen in Philosophie ab und unterrichtete anschließend in einem Lyzeum in Bauvais, dann in Chartres. Von 1940 bis 1944 war er Philosophielehrer am Lycée Carnot in Paris. Am 1. April 1952 wurde er Professor am Collège de France.

Nach dem zweiten Weltkrieg gründete Maurice Merleau-Ponty zusammen mit Jean-Paul Sartre die Zeitschrift „Les Temps Modernes“ und setzte sich intensiv mit dem Marxismus und dem Kommunismus auseinander. Maurice Merleau-Ponty starb am 3. Mai 1961 im Alter von 53 Jahren. Zu seine bedeutenden Werken zählen unter anderen: „Die Struktur des Verhaltens“ (1942) und die „Phänomenologie der Wahrnehmung“ (1945).

Von Hans Klumbies