Maurice Merleau-Ponty kritisiert die Technikgläubigkeit

Obwohl Naturwissenschaft und Technik unwiderstehlich voranschreiten, bewirken sie für Maurice Merleau-Ponty keine fundamentale Förderung der Humanität. Denn das menschliche Ethos hat offenbar nur wenige Berührungspunkte mit dem Begreifen der Natur und der technischen Allmacht über dieselbe. Jedenfalls hat es die Menschheit erlebt, dass Wissenschaft und Technik ohne Moral sich durchaus in den Dienst tyrannischer Herrschaftssysteme stellen lassen. In den Kriegen gehört es zu den Selbstverständlichkeiten, dass die großartigen technischen Erkenntnisse und Maschinen zur Vernichtung von Menschen eingesetzt werden. Die Naturwissenschaften sind laut Max Scheler eine Art von Herrschaftswissen, in denen keinerlei Heilswissen enthalten ist.

Der Wert der Wissenschaften ist immer relativ

Maurice Merleau-Ponty stellt nicht die Forderung, den Fortgang des technischen Zeitalters zu unterbrechen, aber besteht darauf, Naturwissenschaftler und Techniker unter eine geistige Führung zu stellen, damit diese ihr Können und Wissen auf eine menschliche Art und Weise einsetzen. Der Wert der Wissenschaften für das Leben ist für ihn immer nur relativ, niemals absolut. Die Naturerkenntnis und die Beherrschung derselben sind für Maurice Merleau-Ponty nur ein Sektor der Daseinsgestaltung, nicht der Kern der ganzen menschlichen Existenz.

Die Realität der Wissenschaft hat für Maurice Merleau-Ponty nichts mit der Wirklichkeit selbst zu tun. Sie ist gewissermaßen nur ein Modell, das sich darauf beschränkt, jene Seite der Welt zu sehen und zu fassen, die ein wachsendes Verfügenkönnen über alles und jedes zu gestatten scheint. Daher die Vorliebe der Wissenschaftler für das Quantitative, für die Kausalgesetze, für das Räumliche und Materielle.

Die Ehrfurcht vor dem Sein ist verlorengegangen

Jenseits dieser Kategorien gibt es für Maurice Merleau-Ponty jedoch die menschliche Lebenswelt, den kreatürlichen Lebenslauf von der Geburt zum Tode hin, den Bereich der Vergesellschaftung sowie die Gebilde der Kultur, die sich der Gigantonomie des Machens oder gar Vergewaltigens entziehen. Als Existenzphilosoph betont Maurice Merleau-Ponty, dass die Rückbesinnung auf die Bedingungen der Existenz des Menschen ein Heilmittel gegen die technisch-wissenschaftliche Hybris der Gegenwart ist.

Maurice Merleau-Ponty beklagt, dass die Wissenschaft und Technik oft die Ehrfurcht vor dem Sein so schmerzlich vermissen lassen. Er schreibt in dem Essay „Die Augen und der Geist“: „Das wissenschaftliche Denken – ein Überblicksdenken, ein Denken des Gegenstandes in seiner Allgemeinheit – muss sich in ein vorausgehendes „Es gibt“ zurückversetzen, in die Landschaft, auf den Boden der sinnfälligen Welt und der bearbeiteten Welt, wie sie in unserem Leben, für unseren Körper vorhanden sind, nicht für jenen möglichen Körper, den man, wenn man will, als eine Informationsmaschine betrachten kann, sondern für den tatsächlichen Körper, den ich meinen nenne, diesen Wachposten, der schweigend hinter meinen Worten und Handlungen steht.“

Kurzbiographie: Maurice Merleau-Ponty

Maurice Merleau-Ponty wurde am 14. März 1908 in Rochefort-sur-Mer geboren. 1930 legte er sein Examen in Philosophie ab. Seine Doktorarbeit trug den Titel „La Structure du comportement“. Sein Hauptwerk trägt den Titel „Phénoménologie de la perception“. 1952 wurde er Professor am Collège de France, was der höchsten Ehrung für einen Wissenschaftler in Frankreich entspricht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete Maurice Merleau-Ponty zusammen mit Jean-Paul Sartre die Zeitschrift „Les Temps Modernes“. Die beiden Philosophen setzten sich intensiv mit dem Marxismus und dem Kommunismus auseinander. Am Streit über die Lehre des Marxismus zerbrach seine Freundschaft mit Jean-Paul Sartre. Manche Autoren bezeichnen Maurice Merleau-Ponty als legitimen Nachfolger von Edmund Husserl. Er starb am 3. Mai 1961 im Alter von nur 53 Jahren.

Von Hans Klumbies