Babys programmieren den Geruchssinn ihrer Bezugspersonen um

Babys haben einen ganz besonderen, hypnotisierenden Geruch, sie verbreiten eine Pheromon-Wolke, die direkt in die tiefen Hirnareale dringt. Matthias Horx weiß: „Das Riechen am Nacken eines Kleinkindes setzt sofort Oxytocin frei. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass dabei eine Art neuronaler „Reset“ stattfindet: Babys programmieren den Geruchssinn ihrer Bezugspersonen regelrecht um.“ Was vor der Ankunft des Nachwuchses noch faszinierend nach Abenteuer und Abwechslung roch – Alkohol etwa, Schweiß oder Tabak, scharfe Speisen –, „stinkt“ plötzlich. Der Geruch anderer Menschen wird nun unangenehm, uninteressant. Umgekehrt verwandelt sich der Geruch der Babyscheiße in – nun ja – zumindest einen erträglichen Duft. Die biochemische Software, die die Evolution den Menschen mitgegeben hat, erweitert um die Geburt herum die Hirnareale für Planung, für Kooperation und Antizipation. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

Die Mutter sieht ihr Kind durch eine neuronale rosa Brille

Wie fremdgesteuert gehen Mütter in die Dekoshops und Männer in die Baumärkte, um die Höhle zu schmücken. Matthias Horx erläutert: „Der mütterliche Hypothalamus, ein wichtiges Steuerungsorgan, entwickelt nach der Geburt rasend schnell neue Zellverbindungen. In den Schläfenlappen und dem frontalen Cortex entstehen komplett neue Verschaltungen.“ Das alles dient nur einem einzigen Ziel: eine erfolgreiche Bindung zum Baby aufzubauen und seinen optimalen Schutz zu garantieren.

Die amerikanische Anthropologin und Ethnologin Helen E. Fisher stimmt dieser Erkenntnis zu: „Die Mutter sieht ihr Kind nur positiv, durch eine neuronale rosa Brille.“ Das Gehirn eines Babys enthält bei seiner Geburt rund 100 Milliarden Neuronen. Sie bilden zunächst eine Art unstrukturiertes Super-Konnektom, einen kognitiven Brei, in dem alles gleichzeitig passiert. Ein weißes Rauschen. Je mehr das Baby mit den Eltern und Elementen der Umwelt in Verbindung tritt, desto mehr verknüpfen sich in seinem Hirn Neuronenbündel, die eine Struktur der Kognition schaffen.

Das frühkindliche Gehirn verbindet bis zu 1,8 Millionen Synapsen pro Sekunde

Andere Gehirnverbindungen lösen sich wieder auf. Das Hirn klärt sich gewissermaßen in der Reaktion mit der Umwelt und formt seine Gestalt aus. Am Anfang verlaufen diese Bahnungsprozesse rasend schnell. In einem frühkindlichen Gehirn werden zu Spitzenzeiten bis zu 1,8 Millionen Synapsen pro Sekunde miteinander verbunden. Im Alter von drei Jahren geht die Zahl der sekundenschnellen Verbindungsoperationen auf 15.000 zurück, obwohl das Kleinkind jetzt viel lebhafter auf die Umwelt reagiert.

Ein unendlicher Strom des Fragens, Anschauens, Anfühlens, Ausprobierens beginnt. Die Art und Weise wie das Kind jetzt mit sich selbst und seiner Umwelt kommuniziert, verfestigt sich zu einer Persönlichkeit, einem Selbst, einem dynamischen Muster. Das passiert natürlich nicht sofort und schon gar nicht schnell. Grenzen müssen getestet werden, Willensgrenzen. Bis der Kern eines autonomen Individuums entsteht – echte Selbstwirksamkeit – müssen tausend Irrtümer und Enttäuschungen durchlebt werden, tausend Widerstände erzeugt und Grenzen zwischen Ich und der Welt gezogen werden. Quelle: „Future Love“ von Matthias Horx

Von Hans Klumbies