Der freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus

Matthew B. Crawford erklärt: „Die Vorstellungen Immanuel Kants sind der philosophische Ursprung der modernen Gleichsetzung von Freiheit und Wahlmöglichkeit, wobei die Wahl als bloßer Ausdruck des unbedingten Willens verstanden wird.“ Das ist grundlegend für das Verständnis der gegenwärtigen Kultur, denn der so verstandene freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus, und viele Menschen halten jene, die ihnen die Wahlmöglichkeiten anbieten, für Diener ihrer Freiheit. Wenn man von der Prämisse ausgeht, die stumpfsinnige Natur bedroht die menschliche Freiheit als vernünftige Wesen, ist die Verlockung groß, eine virtuelle Realität zu konstruieren, die weniger real ist und in der das Selbst nicht mit der Welt kollidiert. Immanuel Kant versuchte, die Freiheit des Willens gegen äußere Einflüsse abzuschotten und zu einem „unbedingten“ apriorischen Gesetz zu machen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Viele Menschen scheuen die direkte Konfrontation mit der Welt

Aber dazu musste Immanuel Kant den Willen in eine separate Sphäre auslagen, aus der er keine kausale Wirkung in dieser, von der Newton`schen Kausalität beherrschten Welt entfalten kann. Matthew B. Crawford erläutert: „Und dieses fragile Selbst kann jeder formen, der fesselnde Repräsentationen anzubieten hat, um uns vor einer direkten Konfrontation mit der Welt zu bewahren. Dank der Repräsentationen, die man uns anbietet, können wir uns in eine kleine „Ich-Welt“ vorgefertigter Erfahrungen zurückziehen.“

Nutzen diese Repräsentationen hyperappetitliche geistige Reize, so beginnt die Welt der normalen Erfahrungen, frustrierend und im Vergleich zu dieser „Ich-Welt“ unerträglich eintönig zu wirken. Aber die kognitive Erweiterung und die verkörperte Handlungsmacht eröffnen den Menschen möglicherweise einen Ausweg von der vorgefertigten Erfahrung. Der Koch, ein Eishockeyspieler und ein Motorradfahrer bestimmen anhand von Objekten, die außerhalb ihrer selbst liegen, ihre Position in der Welt und bringen ihr Handeln in Einklang mit diesen Objekten.

Die Gestaltung von Autos geht in Richtung Abschottung

Dabei entsteht, abhängig von ihrem Können und vieler anderer Faktoren, die sich ihrer Kontrolle entziehen, eine von der Welt bedingte Mischung aus Freude und Frustration. Diese Erfahrungen deuten auf die kulturellen Möglichkeiten von Entwicklung und Gestaltung hin. Die Gestaltung der Dinge kann die verkörperte Handlungsmacht stärken – oder sie kann sie einschränken, so dass Menschen tiefer in Passivität und Abhängigkeit versinken. So lässt sich zum Beispiel allgemein feststellen, dass die Gestaltung von Autos in Richtung Abschottung geht.

Der Fahrer verliert dabei zusehends den Bezug zur Erfahrung des Fahrens. Das Ideal scheint ein körperloser Beobachter zu sein, der sich durch eine Welt der Objekte bewegt, die wie auf einem Bildschirm an ihm vorübergleiten. All diese Systeme, die das Auto idiotensicher machen sollen, haben zur Folge, dass nur noch sehr wenig Information zum Fahrer durchdringt. Diese Verherrlichung des Automatischen und der Abkopplung kann aber nicht als Tendenz der „Technik“ bezeichnet werden, wenn man davon ausgeht, dass das Kriterium für die Eignung einer Technologie einfach ihre Funktionalität ist. Quelle: „Die Wiedergewinnung des Wirklichen“ von Matthew B. Crawford

Von Hans Klumbies