Peergroups verleihen Jugendlichen ein Gefühl der Sicherheit

Jeder Mensch sucht Bindung und Beziehung, er braucht sie, um ein sinnerfülltes Leben zu führen. Martina Leibovici-Mühlberger erklärt: „Das Ich entwickelt sich an der Grenzlinie zum Du, allein schon deswegen, weil der ganze biologische Apparat unserer Wahrnehmung auf der Feststellung von Unterschieden besteht.“ In der Regel braucht man dafür andere Menschen oder in Notzeiten, wenn der Kontakt mit anderen Menschen rar ist oder gefährlich erscheint, zumindest ein Tier, mit dem man in engen Austausch treten kann. Nur wenige Menschen schaffen es, sich ausschließlich einer abstrakten Idee hinzugeben und trotzdem in echter Lebensbalance zu bleiben. Wenn ein Jugendlicher seinen Freundeskreis, seine Clique oder seine Peergroup hat, so definiert sich das in erster Linie durch ein Gefühl von Zugehörigkeit zu diesem Kreis und durch Abgrenzung gegenüber dem Rest der Welt. Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.

In Peergroups können Jugendliche ihr Rollenverhalten trainieren

Diese Zugehörigkeit verleiht ein Gefühl von Sicherheit und Bedeutung, ja Stärke oder unter gewissen Umständen sogar Macht. Hier kann man sich endlich verstanden und angenommen, so richtig geborgen und zu Hause fühlen. Martina Leibovici-Mühlberger fügt hinzu: „Hier bekommt man auch den sozialen Feinschliff für den Umgang miteinander und kann männliches und weibliches Rollenverhalten trainieren.“ Das haben fast alle Menschen so gemacht und es scheint durchweg sinnvoll zu sein.

Rein äußerlich findet sich also kaum ein Unterschied zwischen der Clique früherer Generationen und der modernen Peergroup der Jugendlichen von heute, die mit ihrer sexy Aufmachung und ihrem erwachsenen Gehabe mindestens so alt wirken wie früher die sechzehn-, siebzehnjährigen, auch wenn sie erst zwölf oder dreizehn, maximal vierzehn sind. Allerdings sind sie eben auch weitaus weniger reif und ihr gerade im Umbau befindliches pubertierendes Hirn ist besonders empfänglich dafür, neue Verhaltensweisen und Normen auszuprobieren und zu akzeptieren.

Die Autorität der Eltern ist in vielen Familien verloren gegangen

Dabei werden sie nicht durch eine diesen Spaß einschränkende Voraussicht der Konsequenzen im Handeln beeinträchtigt. Diese entwickelt sich hirnorganisch erst in späteren Jahren. Das mag auch erklärten, warum es, wenn zweifelhafte Rudelführer in der Gruppe das Sagen haben, zu Nachmittagsbeschäftigungen aus dem Bereich der Mutproben kommen kann. Die Autorität der Eltern ist in vielen Familien verloren gegangen. Vor die Wahl zwischen Elternhaus und Peergroup gestellt, entscheiden sich immer mehr Jugendliche in der Zeitspanne eines kühlen Wimpernschlags für die Peergroup.

Martina Leibovici-Mühlberger erläutert: „Diese Erfahrung des Entgleitens der eigenen Kinder, der vorzeitige Verlust der Führungsautorität läutet die Götterdämmerung der Beziehungsentkopplung zwischen Eltern und Kindern ein.“ Das geht mit einer abnehmenden Verbindlichkeit und emotionalen Abkühlung bis hin zur Abwendung einher. Verursacht und zugleich ermöglicht wird das dadurch, dass die Jugendlichen ihr Bedürfnis nach tiefen, emotionalen Primärbeziehungen still und leise von den Eltern auf die Mitglieder der Peergroup übertragen haben. Quelle: „Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden“ von Martina Leibovici-Mühlberger

Von Hans Klumbies