Manchmal kann das Verlangen nach Rache gerechtfertigt sein

Zwar ermorden nur wenige betrogene Ehepartner wie Medea ihre Kinder, um den Betrüger zu verletzen, doch Schmerz zufügen wollen mit Sicherheit viele. Ihre entsprechenden Anstrengungen haben laut Martha Nussbaum nicht selten schwere Kollateralschäden zur Folge. Auch wenn die Selbstbeherrschung den betrogenen Teil davon abhält zu tun, was er in seiner Wut am liebsten tun würde, so gärt es doch weiter in ihm, und er setzt all seine Hoffnungen darauf, dass es dem betrügenden Teil und seiner neuen Familie irgendwie schlecht ergeht. Und wie oft geschieht es nicht, dass der böse Wille aufs Neue durchbricht – sei es in Gerichtsverfahren, in der subtilen Beeinflussung der Kinder oder einfach nur in der mangelnden Bereitschaft, Männer wieder Vertrauen entgegenzubringen. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Die betrogenen Frauen sollen sich nicht herumschubsen lassen

Martha Nussbaum weiß: „Viele aber werden sagen, dass ihr Verlangen nach Rache und Heimzahlung gerechtfertigt ist – solange es sie nicht bis zum Äußersten treibt und sich zu einem Verbrechen hinreißen lässt. Was den Bereich des Privaten und Persönlichen anbetrifft, sind selbst jene, die einer Kritik am Zorn sonst zustimmen, bereit, ihn als moralisch richtig und gerechtfertigt anzusehen. Die Menschen und zumal die Frauen, so heißt es, sollten für sich selbst und ihren Status, der herabgemindert wurde, eintreten.

Die Betrogenen sollen sich nicht herumschubsen lassen. Um ihrer Selbstachtung willen müssten sie hart und unnachgiebig sein. Martha Nussbaum fügt hinzu: „Vielleicht, wenn sich der Täter nur genug entschuldigt und dabei selbst gedemütigt hat, sei unter Umständen an eine Wiederherstellung oder Normalisierung der Beziehungen zu denken – vielleicht aber auch nicht.“ Und wenn nicht, dann kann das Ritual der Entschuldigung und Demütigung selbst zur Entschädigung werden.

Der Zorns steht selbst im Falle eines schweren Verbrechens auf verlorenem Posten

Martha Nussbaum argumentiert, dass der Zorn seinem Begriff nach die Vorstellung einer Unrechtshandlung gegen etwas oder jemanden umfasst, dass bzw. der der betreffenden Person viel bedeutet, und dass er begrifflich ebenso den Gedanken an Vergeltung in einer wie auch immer gearteten subtilen Form einschließt. Damit steht der Zorn selbst im Falle eines schweren Verbrechens auf verlorenem Posten. Entweder nämlich stellt sich der oder die Betroffene vor, dass die wichtige Sache, die geschädigt wurde, durch Vergeltung wieder hergestellt wird – was freilich metaphysischer Unsinn ist.

Oder die Person stellt sich vor, dass der Angriff in Wahrheit nicht dem menschlichen Leben, der körperlichen Unversehrtheit oder anderen wichtigen und guten Dingen galt, sondern einzig und allein auf den relativen Status und dessen Minderung gerichtet war; Aristoteles verwendet dafür den Ausdruck „Herabsetzung“. In diesem Fall macht der Gedanke der Vergeltung am Ende auf düstere Weise insofern Sinn, als die Erniedrigung des Täters den Geschädigten entsprechend erhebt. Diese Betonung des Status ist jedoch in normativer Hinsicht falsch. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum

Von Hans Klumbies