Markus Hengstschläger fordert mehr Individualismus

Markus Hengstschläger, Österreichs Aushängeschild für Humangenetik, ist davon überzeugt, dass der allgemeine Wunsch nach Durchschnittlichkeit die Menschen wahrscheinlich um die Fähigkeit bringt, mit Hilfe neuer Gedanken optimal auf die rasanten Veränderungen zu reagieren, die in Zukunft auf sie zukommen. Seiner Meinung nach führen die Bemühungen, Jugendliche dem unauffälligen Durchschnitt anzupassen, die nächste Generation womöglich in eine Sackgasse des Denkens. Markus Hengstschläger fordert mehr Individualismus, da der Wissenstand und die heutige Zivilisation nicht ausgetretenen Denkpfaden und nicht Menschen mit durchschnittlichen Verhaltensweisen zu verdanken sind. Markus Hengstschläger leitet seit dem Jahr 2005 das Institut für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität in Wien.

Individualisten finden in der Gesellschaft immer weniger einen Platz

Laut Markus Hengstschläger sind es die Exzentriker und die Querdenker, die einseitig Begabten und Schwierigen, die Auffallenden und Andersdenkenden, also vor allem Individualisten, die den Mut haben, zu unbekannten Ufern aufzubrechen. Als Beispiele für einen solchen Menschenschlag nennt Markus Hengstschläger die Genies Albert Einstein und Sigmund Freud. Der Humangenetiker kritisiert deshalb auch ein Schulsystem, das Schüler darin bestärkt, dort am meisten Zeit zu investieren, wo sie ihre Schwächen haben, anstatt ihre Stärken zu fördern.

Je komplexer die Probleme der Menschheit in der Zukunft sein werden, desto individueller sollten gemäß Markus Hengstschläger die Menschen sein, die sich damit auseinanderzusetzen haben und Lösungen finden müssen. Aber gerade für diese Menschen hat die Gesellschaft seiner Meinung nach immer weniger Platz. Ganz im Gegenteil: Durchschnittlichkeit, Anpassung und Ersetzbarkeit kennzeichnen die meisten Menschen im 21. Jahrhundert. Diese lassen sich fast ohne Widerstand in Routinen hineinzwängen.

Es gibt keine Spezialgene für überdurchschnittlichen Erfolg

Dass große Erfolge nur auf gute Gene zurückzuführen und daher ohnedies nicht aufzuhalten sind, ist für Markus Hengstschläger ein unhaltbares Vorurteil. Er ist davon überzeugt, dass Erfolg zu etwa der einen Hälfte genetisch und zur anderen Hälfte durch Umwelteinflüsse in Form von Leistung, Entwicklung eines Talents und Arbeit bedingt ist. Für einen überdurchschnittlichen Erfolg sind bei keinem Menschen ganz spezielle Gene verantwortlich. Er ist laut Markus Hengstschläger das Ergebnis einer Wechselwirkung von Leistungsvoraussetzungen wie Talente und harter Arbeit.

Wenn ein Mensch Überdurchschnittliches leistet, verdankt er dies nicht einem besonderem Gengeschenk, sondern der Tatsache, dass es die Umwelt ermöglichte, sein Leistungsreservoir komplett zu entfalten und entsprechend zu fördern. Diese Umwelt erlaubte ihm ein Individualist zu sein. Wenn auf der anderen Seite kreative Menschen ihr Potential nicht voll ausschöpfen können, liegt das in der Regel daran, dass ihnen eine fördernde Umwelt vorenthalten wird.

Von Hans Klumbies