Menschen sind zum Guten und zum Bösen fähig

Eine Antwort auf die Frage, warum Menschen nicht einfach nur gnadenlose egoistische Raubtiere sind – obwohl sie sich so verhalten können –, lautet, dass Menschen die Fähigkeit haben einzusehen, dass andere Menschen respektiert werden sollen. Um dies weiter zu begründen, weist Markus Gabriel darauf hin, dass auch andere Menschen ein bewusstes Leben führen. Ein bewusstes Leben zu führen heißt, sich als subjektives Zentrum eines Geschehens, als Ich zu erleben. Das menschliche bewusste Leben verfügt überdies über die Möglichkeit, verstehen zu können, dass es andere Zentren des Geschehens gibt als das eigene. Diese Einsichten hält der amerikanische Philosoph Thomas Nagel für die Grundlage der Ethik. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Menschen erleben alles von einem perspektivischem Standpunkt aus

Unter Ethik versteht Markus Gabriel das systematische Nachdenken über die Begründung der Prinzipien des Handels angesichts des Umstands, dass Menschen zum Guten und zum Bösen fähig sind. In seinen Büchern „Die Möglichkeit des Altruismus“ und insbesondere in „Der Blick von nirgendwo“ unterscheidet Thomas Nagel zwei Kategorien: das Subjektive und das Objektive. Dabei ist das Subjektive sein Name für das an einen bewussten Standpunkt gebundenes Denken. Sofern Menschen bewusst sind, erleben sie alles von einem perspektivischen Standpunkt aus.

Dies gilt nicht nur für die Sinneswahrnehmungen, sondern auch für alle menschlichen Überzeugungen, insofern diese ja auch eingebettet sind in ein persönliches Netzwerk von Überzeugungen, das man nicht ohne weiteres überschaut. Deswegen können Menschen überhaupt widersprüchliche Überzeugungen haben, weil sie keinen Überblick über alles haben, was sie eigentlich glauben und meinen – und was diese Standpunkte bezogen aufeinander in allen Einzelheiten bedeuten.

Die meisten Tatsachen sind einfach gegeben

„Das Objektive“ besteht dagegen in der Einsicht, dass Menschen Teil eines Zusammenhangs sind, der weitgehend völlig unabhängig davon ist, was sie über ihn meinen. Markus Gabriel erklärt: „Egal, wie viel Macht wir unseren Gedanken und sprachlich kodierten theoretischen Konstrukten zuschreiben, wir wissen alle, dass die meisten Tatsachen einfach so sind, wie sie sind, ganz gleich, welche Meinungen wir haben und welche Perspektiven wir einnehmen.“ Deswegen gibt es ja überhaupt ein Ideal der Objektivität, das darin besteht, eine Wirklichkeit zu beschreiben, die vom Menschen selbst abstrahiert ist.

Dieses Ideal erreichen Menschen freilich nicht immer und in vielen zwischenmenschlichen Bereichen ist es vielleicht sogar prinzipiell unerreichbar, weshalb es auch Teil der Ethik ist einzusehen, dass menschliche Handlungskontexte nicht ideal gestrickt sind. Genau aus diesem Abwägen zwischen der subjektiven und der objektiven Perspektive auf Tatsachen bildet sich die ethische Dimension zu Bewertung menschlicher Handlungen. Und die Tatsache, dass es fremdes Bewusstsein gibt, muss jedes Bewusstsein anerkennen, unabhängig von den eigenen Intentionen. Quelle: „Ich ist nicht Gehirn“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies