Im Traumschlaf denkt das Gehirn besonders heftig nach

Durch Schlafentzug wird ein Mensch nicht unbedingt psychotisch, wie das manchmal behauptet wird, aber irgendwann so müde, dass er buchstäblich im Stehen einschläft beziehungsweise einfach nicht mehr wach bleiben kann. Die Schlafforschung hat laut Manfred Spitzer herausgefunden, dass Schlaf ein vom Gehirn aktiv herbeigeführter Zustand ist, der zwar das menschliche Erleben aber keineswegs das Gehirn passiv überfällt und noch dazu nicht mit einer Verminderung der Gehirnaktivität einhergeht. Manfred Spitzer ergänzt: „Unser Gehirn ruht sich nicht aus, schon gar nicht im Schlaf.“ Der menschliche Körper käme vielleicht ohne Schlaf aus, das Gehirn nicht. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen „Lernen“ und „Vorsicht Bildschirm!“.

Im REM-Schlaf sind die Träume zahlreich und intensiv

Jeder Mensch macht im Tagesverlauf vielfältige Erfahrungen, er lernt zum Beispiel neue Menschen und Dinge kennen und erlebt Situationen, die er vorher noch nicht gekannt hat. Manfred Spitzer erklärt: „Damit diese Erfahrungen langfristig im Gedächtnis hängen bleiben, müssen sie verankert werden. Und dies geschieht während des Schlafs.“ Wie vielen Menschen bekannt ist, handelt es sich nicht um einen gleichmäßigen Zustand, als der er erscheint. Die Gehirnaktivitäten verändern sich im Laufe der Nacht und durchlaufen vier bis fünf Zyklen.

Der leichte Schlaf geht beispielsweise in den Tiefschlaf über und danach wieder in den leichten Schlaf zurück. Im leichten Schlaf ist der Schlafende schlaffer und schwerer zu wecken als im Tiefschlaf. Manfred Spitzer erläutert, dass dieser Zustand daher auch paradoxer Schlaf genannt wurde, wie das Gehirn dabei aktiv wie im Wachzustand ist, sich aber zugleich von der Außenwelt abschottet. Es empfängt keine Impulse und sendet auch keine. Da während dieser Phase die Augen heftige Bewegungen ausführen, rapid eye movement, abgekürzt REM, und die Träume zahlreich und intensiv sind, spricht man in der Schlafforschung auch von REM-Schlaf oder Traumschlaf.

Im Schlaf werden neue Gedächtnisinhalte in vorhandenes Wissen integriert

Manfred Spitzer erläutert: „Wenn wir dann zehn bis fünfzehn Minuten in diesem Zustand verbracht haben, fängt das ganze von vorne an – mit wieder leichtem Schlaf, Tiefschlaf, leichterem Schlaf und einer zweiten REM-Phase.“ Bis zum Morgen nehmen dabei der Anteil des Tiefschlafs ab und die Dauer des REM-Schlafs zu. Zu den bedeutendsten Erkenntnissen der Schlafforschung zählt folgendes: Im Schlaf werden neue Gedächtnisinhalte in bereits existierendes Wissen integriert.

Laut Manfred Spitzer werden diese zunächst in einer Tiefschlafphase unter Anleitung des Hippocampus in der Gehirnrinde aktiviert und dann im nachfolgenden Traumschlaf mit älteren Gedächtnisinhalten und Emotionen verknüpft und erneut analysiert, wobei das Gehirn heftig nachdenkt. Manfred Spitzer fügt hinzu: „Nicht zuletzt deswegen wachen wir zuweilen mit der Lösung eines Problems auf, über das wir am Abend zuvor bis zur Verzweiflung ergebnislos nachgedacht haben.“

Von Hans Klumbies