Bildung ist zu einem beliebigen Konsumprodukt verkommen

Bildung erscheint für Konrad Paul Liessmann längst nicht mehr als Ausdruck einer eigenen und zunehmend selbstverantwortlich organisierten Anstrengung, sondern als das Konsumieren eines Produkts, das von einem Konsortium von Pädagogen und ihren Beratern maßgeschneidert angeboten werden muss. Konrad Liessmann stellt fest: „Studenten, die an der Hand ihrer jugendlichen Mütter die Universitäten betreten, wären dann kein Sonderfall, sondern Symptom einer gesellschaftlichen Entwicklung.“ Und wie bei den Nahrungs- und Genussmitteln verlangen die Menschen auch hier, dass ihnen eine übergeordnete Instanz die Verantwortung für ihr Tun abnimmt und vor möglichen Gefahren schützt oder zumindest eindringlich warnt. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Studenten übernehmen keine Verantwortung für ihre Bildung

Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass Studenten der University of California in Santa Barbara gefordert haben, dass die Texte der literarischen Klassiker mit Warnhinweisen bezüglich expliziter Darstellungen von Sex und Gewalt versehen werden sollten, um mögliche traumatische Belastungsstörungen nicht zu verschlimmern. Konrad Paul Liessmann kommentiert: „Erwachsene Studenten wollen also auf keine intellektuellen Entdeckungsreisen mehr gehen, sondern sie verlangen, dass eine paternalistische Instanz die Verantwortung für ihr physisches und kognitives Konsumverhalten übernimmt.

Mündigkeit sieht für Konrad Paul Liessmann allerdings anders aus. Obwohl er zugibt, dass die Sache mit der Verantwortung und Selbstverantwortung schon etwas vertrackt ist: „Nur wer der Auffassung ist, dass jemand prinzipiell nicht für sich selbst verantwortlich ist, kann diese Verantwortung für ihn übernehmen oder auf andere Instanzen abwälzen.“ Das mag bei Unmündigen bis zu einem gewissen Grade notwendig sein, aber unter Erwachsenen bedeutet dies, die Unmündigkeit ohne Not fortzuschreiben.

Verantwortung setzt persönliche Freiheit voraus

Was Menschen wollen, ist in einem solchen Fall nicht mehr das Ergebnis ihrer Überlegungen, Wünsche und Entscheidungen, sondern wird ihnen von außen suggeriert und vorgegeben. Eine wohlmeinende Instanz weiß dann offenbar immer, was richtig ist. Und dies bedeutet: Die Verantwortung liegt immer woanders, nie bei den Akteuren. Die Bevormundung der Menschen durch Instanzen, die vorgeben, nur sein Bestes zu wollen, indem sie ihm die Fähigkeit absprechen, selbst Entscheidungen zu treffen und für deren Folgen einzustehen, infantilisieren die Menschen.

Diese Instanzen bescheiden nicht nur die persönliche Freiheit, sie rauben den Menschen auch ihre Würde. Verantwortung setzt laut Konrad Paul Liessmann aber Freiheit voraus: „Und Freiheit impliziert immer ein Risiko – auch das zur Selbstschädigung. Zur Selbstverantwortung gehört auch die Möglichkeit zu einem Handeln, das andere verantwortungslos finden können. Nur sollte man dann auch die Kraft und den Mut haben, dafür einzustehen.“ Zur Selbstverantwortung gehört schließlich auch die Verantwortung, die man für sein Denken und Handeln nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst übernimmt. Quelle: „Geisterstunde“ von Konrad Paul Liessmann