Konrad Paul Liessmann beklagt die Infantilisierung der Studenten

Die Verschulung des Studiums im Zuge der Bologna-Reform hinterlässt auch in der Psyche der Studenten gravierende Spuren. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Aus jungen Erwachsenen werden späte Kinder.“ Mit Entsetzen musste jüngst ein Professor der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt feststellen, dass Studenten im 1. Semester zunehmend nur noch in Begleitung ihrer Eltern die Hochschule betreten. Die Zahl der nichtstudierfähigen Abiturienten nimmt bedrohlich zu. Konrad Paul Liessmann fügt hinzu: „Die Infantilisierung und selbstgewählte Teilentmündigung junger Erwachsener scheint in vollem Gange. Das ist nicht ausschließlich deren Schuld, sondern entspricht dem Charakter unserer Konsumgesellschaft und der zunehmenden Pädagogisierung des Alltags.“ Konrad Paul Liessmann ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien. Zuletzt sind von ihm folgende Bücher erschienen: „Das Universum der Dinge“ (2010), „Lob der Grenze“ (2012) und „Geisterstunde“ (2014).

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen von Unmündigkeit

Konrad Paul Liessmann rät sich die berühmte Schrift von Immanuel Kant „Was ist Aufklärung“ aus dem Jahre 1784 in Erinnerung zu rufen. Darin skizziert der berühmte deutsche Philosoph das ideale Bild eines mündigen Bürgers, der imstande sein sollte, sich seines Verstandes ohne Leitung anderer bedienen zu können. Dazu gehört natürlich Mut und gerade diesen Mut fordert Immanuel Kant ein. Er schreibt: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben.“

Und dann heißt es weiter: „Und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Die meisten Menschen haben es nicht nötig, zu denken, wenn Personen dafür bezahlen, die für sie die Denkarbeit übernehmen. Immanuel Kant ging davon aus, dass der Bürger, der diese Faulheit abwirft und en Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit schafft, sich kraft seines Wissens und seiner Bildung über die wesentlichen Dinge, die sein Leben betreffen, ein eigenes Urteil erlauben und letztlich souverän, aus guten Gründen, nach Abwägen aller Argumente, eigene Entscheidungen treffen kann.

Die Vormünder heißen heute Berater

Die Vormünder, von denen Immanuel Kant den mündigen Menschen befreit wissen wollte, heißen laut Konrad Paul Liessmann heute Berater. Sie denken für andere mit. Und dies hat gute Gründe. Denn zumindest auf den ersten Blick scheint es klar, dass dieses Kantische Ideal der Mündigkeit der Realität nicht entsprechen kann. Dagegen spricht die Komplexität der modernen Welt, die Vielzahl und Vielfalt an Angeboten aller Art, der wissenschaftliche Fortschritt und die Herausbildung zahlreicher Expertenkulturen.

Die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse überfordert den Einzelnen, sei es im Privatleben, sei es im beruflichen Alltag. Mag sein, dass Menschen in vielen Fragen ohne Begleitung und Beratung nicht auskommen. In der Logik eines Immanuel Kant bedeutet dies allerdings den Rückfall in eine neue, selbstverschuldete Unmündigkeit. Die Berater der Menschen sind eben nicht nur Geschäftspartner, sondern immer auch Erzieher, Stellvertreter und Vormünder. Solche Unmündigkeit gewinnt in der modernen Gesellschaft einen besonderen Sinn, die die meisten Menschen benötigen ihren Mund nicht mehr, um mit ihm zu kommunizieren, sondern nur noch, um mit ihm zu konsumieren.

Von Hans Klumbies