Komplexität kann man nicht beliebig vereinfachen

Komplexität beschreibt das sinnvolle Zusammenspiel verschiedener Strukturen, die durch Interaktionen Verbindungen knüpfen und so einen sinnvollen Zusammenhang bilden: Menschen knüpfen lebendige Beziehungen. Je mehr Fäden ein persönliches Beziehungsnetz hat, beziehungsweise der Sinnzusammenhang, in den man eingebunden ist, desto komplexer ist das soziale Gebilde, das daraus entsteht. Der Psychologieprofessor Dietrich Dörner hat in seinem Buch „Die Logik des Misslingens“ Komplexität als „die Existenz von vielen, voneinander abhängigen Merkmalen in einem Ausschnitt der Realität“ bezeichnet. Ina Schmidt ergänzt: „Komplexität erhöht sich demnach in Abhängigkeit der Anzahl der Merkmale sowie ihrer Verbindungen untereinander, die zu dem jeweiligen Realitätsausschnitt gehören.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Der Umgang mit Komplexität ist eine ziemlich anspruchsvollen Angelegenheit

Menschen erleben also in diesen Ausschnitten, dass vielleicht nicht alles mit allem, aber doch vieles mit vielem zu tun hat, so Dietrich Dörner. Diese Erhöhung oder Verringerung von Merkmalen, die zu einem solchen Zusammenhang gehören, sind veränderbar, aber wie man beispielsweise beim Schachspiel sieht, zeichnen sich komplexe Zusammenhänge eben auch dadurch aus, dass man sie nicht beliebig vereinfachen kann. Zu starke Vereinfachung – oder auch Trivialisierung – reduziert keine Komplexität, sondern zerstört sie.

Aber gerade, wenn man diese Zerstörung vermeiden will, wird der Umgang mit Komplexität eine ziemlich anspruchsvollen Angelegenheit – man muss zwischen Dingen unterscheiden lernen, die ihr eigentlich eingängiges Wesen unter komplizierten Schichten von bürokratischen Regelgebilden verborgen haben wie Steuerformulare, Packlisten für Klassenfahrten oder auch Anleitungen für technisches Gerät jeder nur denkbaren Art, und Dingen, die komplex sind und bleiben werden, wie sehr man auf das einfache Leben dringt.

Beziehungen und Ordnungen bleiben immer komplex

Zu den komplex bleibenden Dingen gehören menschliche Beziehungen und Ordnungen, die Jagd nach dem Glück, die eigene Karriere – oder auch Schachspiele. Nimmt man einen belebten Schulhof als ein Art symbolisches Abbild für das, was man tattäglich durch Regeln, Normen und Kompetenzen zu bändigen versucht, dann lässt sich zumindest erahnen, wie mühsam dieses Unterfangen in komplexen Zusammenhangen ausfällt – auch wenn man beständig dabei ist, sich das Gegenteil einzureden.

Das, was man vorfindet, ist immer schon wieder anders als das, was man zu regeln versucht. Ina Schmidt erläutert: „Und diese Erfahrung machen wir jeden Tag in kleine alltäglichen Momenten genauso wie auf der politischen Weltbühne, wenn es darum geht, mit unberechenbaren Charakteren Absprachen zu treffen, Prognosen abzugeben, Hilfsgüter in Kriegsgebiete zu transportieren oder mit unterschiedlichen kulturellen Wertesystemen umzugehen.“ Das verurteilt einen Menschen nicht zur Tatenlosigkeit oder zur zynischen Resignation, aber es verändert den Blick auf das, worauf er Einfluss hat. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies