Kein Staat entsteht durch freiwillige Verträge

Der Kultur- und Kunstgeschichtler Jacob Burckhardt vertritt die These, dass noch kein Staat durch einen wahren, von allen Seiten freiwilligen Kontrakt entstanden ist. Denn Abtretungen und Ausgleichungen zwischen rivalisierenden Völkern sind keine Kontrakte. Er schließt daraus, dass auch künftig kein Staat auf diese Weise entstehen wird. Auch der optimistischen Ansicht, wonach der Staat zum Schutz der Gesellschaft entstanden wäre, als ihre negative, abwehrende, verteidigende Seite, so dass der Staat und das Strafrecht identischen Ursprung hätten, kann sich Jacob Burckhardt nicht anschließen. Eher sieht Jacob Burckhardt den Ursprung des Staates durch die Gewalt gegeben, da diese durch die Ungleichheit der menschlichen Anlagen von selbst entsteht.

Die früheste Aufgabe des Staates

Laut Jacob Burckhard mag der Staat oft nichts weiter gewesen sein, als die Systematisierung der Gewalt. Von den furchtbaren Krisen bei der Entstehung des Staates, von seinen ursprünglichen Kosten, ist noch viel zu spüren in dem enormen, absoluten Vorrecht, das man ihm von jeher eingeräumt hat.

Falls es sich bei der Krise um eine Eroberung gehandelt hat, ist Jacob Burckhardt der Ansicht, dass es die früheste Aufgabe des Staates die Knechtung der Unterworfenen war. Je nach ihrer Uranlage und den späteren Erlebnissen und durch die verschiedenen Einflüsse von Religion und Kultur unterscheiden sich die Staaten deutlich voneinander.

Der Unterschied zwischen kleinen und großen Staaten

Burckhardt unterscheidet zwischen Groß- und Kleinstaat. Der Großstaat ist seiner Meinung nach zur Erreichung großer äußerer Zwecke vorhanden. Er hält und sichert gewisse Kulturen, die sonst untergehen würden, bringt passive Teile der Bevölkerung nach vorne, die wenn sie sich selbst überlassen wären, verkümmern würden. Im Kleinstaat sollte die größtmögliche Quote der Staatsangehörigen die vollen Bürgerrechte besitzen.

Kleine Monarchien sollten sich diesem Zustand möglichst nähern. Kleine Tyranneien dagegen sind die unsicherste Staatsform, da sie die beständige Neigung haben, in einem größeren Ganzen aufzugehen. Wie auch immer ein Staat entstand, wird er seine Lebensfähigkeit nur beweisen, wenn er sich aus Gewalt in Kraft verwandelt. Um zu überleben ist der Staat gezwungen, mit der Zeit eine Art von Recht und Gesittung zu entwickeln, da sich die Gerechten und Gesitteten seiner allmählich zu bemächtigen wissen.

Das Recht sorgt für das Wohl des Staates

Im Inneren ist der Staat durch die Ausgleichung möglichst vieler Interessen und Egoismen entstanden, wodurch zuletzt eine völlige Verflechtung von Individuum und Staat entstand. Das Höchste was der Staat herausbilden kann, ist laut Jacob Burckhardt, das Pflichtgefühl der Besseren, der Patriotismus. Bei den Gebildeteten ist er die Hingabe an ein Allgemeines, die Erhebung über den Egoismus des Einzelnen und der Familie, soweit dieses Bedürfnis nicht von der Religion oder der Gesellschaft aufgesaugt wird.

Der Staat ist für Jacob Burckhard nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Standarte des Rechts und des Guten, die irgendwo aufgerichtet werden muss und immer über den Parteien stehen muss. Der Staat wird am ehesten gesund bleiben, wenn er sich seines Ursprungs als Notinstanz immer bewusst bleibt.

Im Hort des Rechtes sieht Jacob Burckhardt das Wohl des Staates. Die einzelnen Bürger haben über sich die Gesetze und Richter, die mit einem Zwangsrecht ausgerüstet sind. Daraus entsteht die Zuversicht und Sicherheit, dass es die Menschen nicht mehr nötig haben werden, innerhalb des Staates sich gegenseitig mit Waffen zu bekämpfen. Denn jeder sollte wissen, dass er mit Gewalt weder seinen Besitz noch seine Macht vermehrt, sondern nur seinen Untergang beschleunigt.

Kurzbiographie: Jacob Burckhardt

Jacob Burckhardt wurde am 25. Mai 1818 in Basel geboren. Er studierte Theologie, Geschichte und Kunstgeschichte und unternahm wiederholt Bildungsreisen nach Italien. 1855 wurde er Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Ab 1858 wirkte er als Ordinarius für Geschichte in Basel, ab 1882 auch für Kunstgeschichte. Sein eigentliches Lebenswerk galt der Kultur- und Kunstgeschichte, deren bedeutendster Vertreter er im 19. Jahrhundert war. Jacob Burckhard starb am 8. August 1897 in Basel.

Von Hans Klumbies