Überall fallen die Grenzen und entwickeln sich neue Welten

Die Grenzen von Raum und Zeit sind in modernen Gesellschaften in Bewegung geraten. Ihr einstmals starres Regime steht laut Karlheinz A. Geißler zur Disposition. Beratung kann zum Beispiel heutzutage überall stattfinden, nicht nur allein in den dafür vorgesehenen Konferenzräumen. In der Europäischen Union lassen sich die Grenzen ohne Zwischenstopp überwinden. Karlheinz A. Geißler schreibt: „Weitestgehend entortet und entzeitlicht ist das, was man kauft, was man isst und trinkt, und vieles von dem, was es zu erfahren und zu erleben gibt.“ Dinge, die an Ort und Zeit gebunden sind, entwickeln sich als Reaktion auf diesen Trend immer öfter zur Folklore. Professor Dr. Karlheinz A. Geißler lehrt, lebt und schreibt in München. Eine der amüsantesten Erfindungen der Menschheit, die Zeit, hat er zu seinem Lebensthema gemacht.

Urlaub ist nicht mehr die Sehnsucht nach dem Unendlichen

Grenzen fallen auch anderswo. Karlheinz A. Geißler nennt als Beispiel Tankstellen, die inzwischen einen großen Teil ihres Umsatzes mit Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des täglichen Lebens machen und das manchmal rund um die Uhr. Beim Urlaub ist es nicht mehr die Sehnsucht nach dem Unendlichen und auch immer seltener das Bedürfnis nach Erholung, die zu einer Reise motivieren. Vielmehr wünschen sich viele Menschen inzwischen eine Kombination von Kultur, Erholung, Bildung, Unterhaltung und immer öfter auch Wellness.

Auch die Flughäfen und Bahnhöfe, die sogenannten Tore zur Welt, sind selbst zu einer Welt geworden und stellen sich trotz ihrer Vielfalt doch meist recht einfältig dar. Karlheinz A. Geißler kritisiert: „Überall die gleich eintönige Auswahl an Produkten und Leistungen in gleichen oder sich ähnelnden Geschäften – überall die gleiche Hast, das identische Getue.“ Junge Menschen wachsen seiner Meinung nach in diese Gesellschaft mit all ihren technischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten hinein.

Kapitalistische Marktdynamiken haben sich über die ganze Welt verbreitet

Karl Marx schreibt im ersten Buch des „Kapitals“ von der Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarktes. Karlheinz A. Geißler gibt dem großen Denker Recht, da die Entgrenzung, der die Menschen gerne das Etikett der Globalisierung aufkleben, ein Ergebnis des Weltweitwerdens kapitalistischer Marktdynamiken ist. Karlheinz A. Geißler ergänzt: „Sie zielt in erster Linie auf die profitable Beschleunigung räumlicher und zeitlicher Dynamiken, die das Ziel haben, die Menschen, die Dinge und die Abläufe durch Zeitzonen übergreifenden Kapitalverkehr zu beschleunigen.

Der Raum wird weniger als jemals zuvor in der Zivilisationsgeschichte über zeitliche und örtliche Grenzen definiert und charakterisiert. Karlheinz A. Geißler vertritt die These, dass die Medien und die Informationstechnologie und deren rasante Verbreitung ihn verflüssigt, entmaterialisiert, virtualisiert und zeitlich zerfranst haben. Er wird tendenziell getötet. Ganz generelle sind Grenzüberschreitungen heut zur dominierenden ökonomischen Kraft bei der Produktion von Gütern geworden. Kein Mensch kann sich ihnen mehr entziehen.

Von Hans Klumbies