Judith Glück lehrt den guten Umgang mit Gefühlen

Weise Menschen ignorieren oder verdrängen ihre Gefühle nicht. Sie nehmen sie wahr, messen ihnen Bedeutung bei und wissen eben deshalb mit ihnen auch so umzugehen, wie es die Situation erfordert. Intuitiv weiß fast jeder Mensch, was mit einem Gefühl wie Angst, Freude oder Zorn gemeint ist, aber das wissenschaftlich zu definieren, ist gar nicht leicht. Eines steht allerdings fest: Gefühle haben eindeutig eine körperliche Komponente. Judith Glück erklärt: „Emotionen entstehen offenbar in einer Wechselwirkung zwischen körperlichen Reaktionen und Denken.“ Bei einem Menschen reicht zum Beispiel bereits ein Satz, den jemand sagt, oder eine Zeile in einer Zeitung, um eine möglicherweise intensive körperliche Reaktion hervorzurufen. Das körperliche Gefühl, das mit einer Emotion einhergeht, ist zudem relativ unspezifisch, zunächst nur ein allgemeiner, unangenehmer Erregungszustand. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Das Wechselspiel von Denken und körperlichen Empfinden erzeugt Emotionen

Judith Glück fügt hinzu: „Erst dadurch, wie wir die auslösende Situation interpretieren, wird uns klar, was wir eigentlich fühlen.“ Diese enge Verbindung des körperlichen Gefühls mit dem bewussten Erleben ermöglicht so paradoxe Effekte wie den, dass man fröhlich wird, wenn man sich zum Lachen zwingt oder auch einfach seine Mundwinkel nach oben zieht. Emotionen entstehen also in einem engen Wechselspiel von Denken und körperlichem Empfinden. Von Kindheit an lernen die Menschen, ihre körperlichen Reaktionen richtig zu interpretieren, sie beispielsweise als Angst oder Nervosität zu erkennen.

Teilweise geschieht dies einfach durch langjährige Erfahrung: Automatisch erfasst man, dass ein bestimmtes Körpergefühl immer in Situationen entsteht, die unangenehm für einen werden könnten, und interpretiert dieses Körpergefühl daher als Angst. Zusätzlich zu diesem automatischen Lernen gibt es bei den Menschen aber auch eine komplexere gedankliche Ebene, das bewusste Wahrnehmen und Bearbeiten einer Emotion. Das gedankliche Benennen von Gefühlen und das Nachdenken über sie, lernt man ebenso schon seit seiner Kindheit.

Eigene Intuitionen sollte man ernst nehmen

Psychodynamische Theorien verwenden den Begriff „Mentalisierung“ für die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und auch die anderer Menschen zu beschreiben und über sie nachzudenken. Judith Glück ergänzt: „Sie gehen davon aus, dass der Erwerb der Mentalisierungsfähigkeit schon in der frühen Kindheit beginnt, wenn ein Baby seinen Bezugspersonen gegenüber seine Gefühle zum Ausdruck bringt und diese darauf reagieren.“ Aber es ist nicht immer einfach, zu erkennen, was genau man eigentlich fühlt und warum.

Nicht jede Intuition entspricht einer objektiven Wahrheit, aber sie entspricht zumindest einer eigenen Wahrnehmung, und als solche sollte man sie ernst nehmen. Manche Menschen sind von Natur aus sensibler, empfindlicher für die eigenen Gefühle als andere. Es scheint sich hier tatsächlich um biologische Unterschiede zu handeln, durch die das Gefühlsempfinden unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Der sogenannte Neurotizismus beschreibt eine besonders starke emotionale Erregbarkeit. Quelle: „Weisheit“ von Judith Glück

Von Hans Klumbies