Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte

Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Johann Gottfried Herder sprach sich für die Emanzipation der Frauen aus

Insofern hatte Johann Gottfried Herder einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung dessen, was man heute als Kulturwissenschaft bezeichnet. Außerdem war er ein Pionier auf dem Gebiet der Sprachphilosophie, nicht selten wird er sogar als deren Erfinder bezeichnet. Der Philosoph Charles Taylor behauptet, Johann Gottfried Herder habe „eine vollkommen neue Denkweise zu Untersuchung von Sprache und Bedeutung entwickelt“, und spricht von der „Herder-Revolution“. Johann Gottfried Herder begrüßte die Französische Revolution, wenn auch aus anfänglicher Begeisterung später Ernüchterung wurde.

Zudem sprach sich Johann Gottfried Herder kühn für die Emanzipation der Frauen aus und verkündete: „An keinem Umstande, glaube ich, lässt sich der eigentliche Charakter eines Mannes oder einer Nation so unterscheidend erkennen als an der Behandlung des Weibes.“ Seiner Meinung nach sind die meisten Frauen Sklavinnen innerhalb ihrer eigenen Gesellschaften. Johann Gottfried Herder behauptet außerdem, dass es das Böse nicht gebe, und der Tod sei lediglich eine Metamorphose.

Sympathie und Liebe sind kostbarer als kalte Vernunft

Der Staat ist für Johann Gottfried Herder eine seelenlose Verwaltungsmaschine, die alle Individualität zerstört. Die wahren Macher der Geschichte sind die Poeten und Propheten und nicht die Politiker. Zudem hält er die Kultur für entscheidender als die Politik. Seiner Meinung nach ist die Religion von zentraler Bedeutung für die Kultur – wenig überraschend im Fall von Johann Gottfried Herder, der ein protestantischer Theologe war. Ideen sind für ihn das Reich der Intellektuellen, aber Religion ist eine Spezies emotionaler Demokratie, ein Schatzhaus der Instinkte und Gefühle, das allen offensteht.

Nationen müssten laut Johann Gottfried Herder durch Sitten, Traditionen und Empfindungen regiert werden und die Gesellschaft sei als ein organisches Ganzes zu betrachten. Außerdem war er Romantiker, der an das Konkrete und Nebensächliche glaubte, doch weigerte er sich auch, auf bestimmte universelle Maßstäbe zu verzichten. Gleichzeitig wandte er sich gegen den Kult eines falschen universellen Humanitarismus anstelle lokaler Loyalitäten und privater Bindungen. Sympathie und Liebe sind für ihn kostbarer als das, was er verächtlich „kalte Vernunft“ nennt. Quelle: „Kultur“ von Terry Eagleton

Von Hans Klumbies