Jeder möchte einzigartig und authentisch sein

Im Titelthema des aktuellen Philosophie Magazins 03/2016 wird die Frage beantwortet: „Wer ist mein wahres Selbst?“ Fast jeder möchte echt sein, einzigartig erscheinen und authentisch wirken. Gerade in den Zeiten der digitalen Selbstdarstellung zum Beispiel bei Facebook ist der Übergang von der gekonnten Verstellung in die dauerhafte existenzielle Entfremdung fließend. Auch der Alltag ist bei genauerer Betrachtung eine Abfolge von Situationen, in denen man eine bereits vorbestimmte Rolle möglichst überzeugend zu spielen hat. Die Frage „Wer bin ich wirklich?“ wird durch den tiefen Wunsch hervorgebracht, das eigene Leben selbst zu führen, anstatt geführt zu werden. Der Philosoph Byung-Chul Han kritisiert in seinem Beitrag den „Terror des Andersseins“. Im Kapitalismus wollen sich vielen Menschen von der Masse unterscheiden. Doch gerade die Abgrenzung und der permanente Vergleich führen laut Byung-Chul Han in die Hölle der Konformität.

Das wahre Selbst ist im Wesentlichen ein Soziales

Für den Philosophen Georg W. Bertram ist das „wahre Selbst“ nicht etwas, das man einfach so für sich hat, sondern im Wesentlichen ein Soziales, für das man manchmal auch kämpfen muss. In anderen Situationen wiederum weiß ein Mensch vielleicht gar nicht, wofür er eigentlich steht. Das ist vor allem in krisenhaften Momenten der Fall. Doch genau dann zeigt sich, dass ein wahres Selbst ohne eine Auseinandersetzung mit dem anderen nicht zu haben ist. Georg W. Bertram erklärt: „Wir entwickeln unser Ich in Reaktion auf Erfahrungen, die wir machen, auch negative Erfahrungen. Wenn ich keine Reaktion von anderen habe, kann ich stehen, wofür auch immer ich will: Das Ich bleibt leer.“

In der Rubrik „Horizonte“ unterhalten sich der Soziologe Harald Welzer und der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel über die Frage, ob die Digitalisierung einem selbstbestimmten Leben die Grundlage entzieht. Denn in den Gesellschaften der westlichen Moderne spähen die Konzerne die Menschen inzwischen umfassender aus als die Geheimdienste. Harald Welzer vertritt die These, dass zu Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung ganz wesentlich Privatheit gehört. Und diese Privatheit ist seiner Meinung nach im Verschwinden begriffen. Sie wird ersetzt durch eine merkwürdige Form der Transparenz. Darin besteht eine große Gefahr.

Den Mördern des Islamischen Staates fehlt es an Verstand und Moral

Zum Gespräch hat das Philosophie Magazin diesmal die Feministin Élisabeth Badinter eingeladen, die für die bedingungslose Trennung von Kirche und Staat eintritt. Nach den jüngsten Attentaten in Paris und der Rückkehr des Fanatismus appelliert Élisabeth Badinter mit Nachdruck an die Kraft der Vernunft. Über die Mörderbande des sogenannten Islamischen Staates sagt Élisabeth Badinter folgendes: „Das sind fanatisierte Jungs, denen wirklich der Verstand fehlt – ganz zu schweigen von der Moral. Die barbarischen Akte, die sie begehen, bereiten ihnen ein immenses Vergnügen. Stellen sie sich vor: Einmal in ihrem Leben sind sie auf Seite ein.“

In der Rubrik „Der Klassiker“ stellt diesmal der Philosoph Nicolas Tenaillon Niccolò Machiavellis Werk „Die Kunst des Krieges“ vor. Wenn man keine eigenen Waffen hat, so warnt Niccolò Machiavelli, macht man sich vom Glück abhängig. Die stärkste eigene Waffe – und die einzig entscheidende – auch bei militärischen und strategischen Fragen und Fragen der Sicherheit schreibt er in „In die Kunst des Krieges“, wird bei den Völkern immer die Ausdauer in der Verteidigung ihrer Freiheit sein. Niccolò Machiavelli ist ein überzeugter Anhänger der Republik, weil sie für ihn die beste politische Ordnung darstellt.

Von Hans Klumbies