Fast alle Menschen streben nach dem Glück

Aristoteles erklärt das Glück – die „eudaimonia“, die genauer mit Glückseligkeit zu übersetzen ist – zu einem Gut, das man um seiner selbst willen anstrebt, das aber nicht in der Abstraktion oder dem Reich der Ideen zu finden ist, sondern nur in der konkreten Verwirklichung, also dem, was ein Mensch aus gutem Grund tut. Ina Schmidt fügt hinzu: „Dieses Glück ist ein „sich selbst genügendes“ Gut, das wir laut Aristoteles aber nicht im Rückzug auf uns selbst, also in einem auf das „Ich beschränkte Leben“ finden können.“ Nur in einem Leben voller Beziehungen, „in der Verflochtenheit mit Eltern, Kindern, der Frau, überhaupt den Freunden und Mitbürgern“ sei die Glückseligkeit zu erwarten, „denn der Mensch ist von Natur bestimmt für die Gemeinschaft“ so der griechische Philosoph in seiner „Nikomachischen Ethik“. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Das Glück liegt in der Vollendung des eigenen Werks

In diesem Bild ist das Glück deutlich mehr als ein paar flüchtige glückliche Momente, sondern das, worum es im Leben geht, das, wonach fast alle Menschen streben, so Aristoteles: „So erweist sich denn das Glück als etwas Vollendetes, für sich allein Genügendes. Es ist das Endziel des uns möglichen Handelns.“ Das Glück ist also eine Folge von etwas, das ein Mensch tut, sodass es sich daraus ergeben kann. Dieses Etwas liegt für Aristoteles in der Entfaltung der dem Menschen gegebenen Möglichkeiten, der Vollendung seines eigenen Werks.

Das meint aber weniger einen Zustand, sondern „ein Tätigsein der Seele im Sinne der ihr wesenhaften Tüchtigkeit“. Das Ziel liegt nicht irgendwo da draußen, nicht in einem hedonistischen Leben nach dem reinen Lustprinzip oder dem, was ein Mensch erreicht oder gekauft hat, sondern in dem, was und wie er ist – einem Etwas, das er jeden Tag aufs Neue zum Ausdruck bringen muss, und zwar in dem, was er tut. Ein Mensch ist also immer dann glücklich, wenn er etwas vollbringt, was dem Wesen seiner Seele entspricht, was ihn in Übereinstimmung mit ihm selbst bringt.

Ein glücklicher Mensch kann niemals ein böser Mensch sein

Ina Schmidt erläutert: „Und ebendieses Empfinden steht immer in Beziehung zu einer Form von Tüchtigkeit, die wir heute eher mit dem etwas altmodischen Begriff der Tugendhaftigkeit bezeichnen würden, weil sie – so Aristoteles – nur dann einen Wert hat, wenn wir dabei den Bezug zum Guten nicht verlieren.“ Hier also reichen sich das Glück und das Gute die Hand, sodass ein glücklicher Mensch in diesem Bild niemals ein böser, unethischer, skrupelloser und selbstsüchtiger Mensch sein könnte.

Das Glück ergibt sich demnach aus dem, wie und auf welche Weise ein Mensch nach der Verwirklichung des Guten strebt. Aber was auch immer ein Mensch tut, irgendein moralischer Zeigefinger wird ganz sicher auf ihn zeigen. Glücklichsein scheint unter diesen tugendhaften Argusaugen fast unmöglich zu sein. In der ethischen Ausrichtung des eigenen Handelns liegt auf jeden Fall kein Widerspruch zum Glück, sondern darin, dass man glaubt, aber auch alles richtig machen zu können – um am Ende das Glück als Belohnung in die Arme schließen zu können. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt