In Demokratien geht alle politische Gewalt vom Bürger aus

Lange Zeit befasste sich die Politische Philosophie vornehmlich mit sozialen Institutionen und Systemen. Otfriede Höffe ergänzt: „Die Politik erschien dabei als eine Auseinandersetzung mit Interessen und um Macht.“ Vernachlässigt wurden die Subjekte, von denen in Demokratien doch alle politische Gewalt ausgeht. Dieser Vernachlässigung steuert das Thema Bürgeridentität entgegen. Das entscheidende Objekt, den Bürger, darf man allerdings weder auf den Bürger im engeren Sinn, den Staatsbürger, verkürzen, noch bei diesem die Bürgertugenden vergessen. Die Bürgertugenden tragen als Rechtssinn, Gerechtigkeitssinn und Gemeinsinn zum Wohlergehen der Demokratie bei. Deshalb gehören sie zum Kern eines aufgeklärten Liberalismus. Neben dem Staatsbürger, dem Citoyen, dem Bourgeois und dem Gemeinschaftsbürger, gibt es mindestens noch als vierte Person den Kultur- und Bildungsbürger. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Als Bürger eines Staates genießt man dessen Schutz

Die politische Moderne beginnt historisch gesehen mit der Vision des aufgeklärten Bürgers. Sie entwickelt sich fort oder präzisiert sich zur Vision des emanzipierten, später des mündigen Bürgers, der neuerdings im Gedanken des engagierten, namentlich partizipativen Bürgers kulminiert. Als Bürger eines Staates genießt man dessen Schutz und erfreut sich zumindest in konstitutionellen Demokratien negativer und positiver Freiheitsrechte. Ohne eine Sprache oder eine wohlbestimmte Mehrsprachigkeit entwickelt man nicht die für ein reales Freiheitswesen notwendige Denk- und Kommunikationsfähigkeit.

In den modernen Gesellschaften des Westens dürfte das Maß an Individualität recht hoch, vermutlich höher als in vielen anderen Gesellschaften ausfallen. Bewahrheitet sich diese Hypothese, so hat sie die paradoxe Folge, dass kollektive Identitäten nicht nur die Art, sondern auch das Ausmaß an Individualität der Identität prägen. Hinzu kommt, dass die zeitgenössische Globalisierung die Facetten der heutigen Bürgeridentität erweitert hat. Aber selbst nur die westliche Bürgeridentität der Moderne ist ein verwickeltes und verzwicktes Phänomen.

Die Passidentität ist eine global anerkannte Identität

Rechtlich und bürokratisch gesehen basiert sie auf Elementen, die Rechtsdokumente wie den Personalausweis und den Pass enthalten. Von der dazu befugten Instanz ausgestellt, bescheinigen die Dokumente die Zugehörigkeit zum völkerrechtlich anerkannten Gemeinwesen, dem Staat. Diese rein rechtliche Zugehörigkeit macht den Bürger zum Staatsbürger. Die Passidentität ist eine global anerkannte Identität und sie gibt einen Grund mehr für das Recht ab, anerkanntes Mitglied eines Gemeinwesens zu sein und nicht als Staatenloser leben zu müssen.

Manche westliche Bürger mokieren sich zwar über ihre staatliche, gern als nationalstaatlich diskreditierte Identität. In unseren Breiten sind sie lieber nur Europäer, und im globalen Maßstab empfinden sie sich als bloße Weltbürger. Otfried Höffe fügt hinzu: „Reisen sie aber in politisch gefährliche Gegenden, geraten dort in Gefangenschaft und werden nur gegen Lösegeld freigelassen, so hoffen sie nicht bloß, sondern erwarten staatliche Hilfe.“ Man nimmt also die sogenannte Schutzzusage in Anspruch. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies