Herbert Schnädelbach begibt sich auf die Spur der Vernunft

Im philosophischen Diskurs ist die Vernunft eines der wichtigsten Themen, denn laut einer alten Überlieferung soll sie es sein, die den Menschen von den übrigen Lebewesen unterscheidet. Immanuel Kant forderte zum Beispiel, man sollte den Menschen als animal rationale, also als vernunftfähiges Lebewesen bezeichnen. Herbert Schnädelbach schreibt: „In der Tat ist die Vernunft nicht eine unserer ständigen Eigenschaften, sondern nur ein Inbegriff von Fähigkeiten oder „Vermögen“, wie die Philosophen sagen, über die nur die Menschen verfügen; sonst haben wir ja fast alles mit den Tieren gemeinsam.“ Im philosophischen Denken trat die Vernunft niemals ganz allein auf, sondern hatte im Verstand ihren ständigen Begleiter. Vor seiner Emeritierung war Herbert Schnädelbach Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität in Berlin.

Die Sophisten zweifeln an der objektiven Vernunft

Laut Herbert Schnädelbach kommt der Begriff Vernunft von den Wörtern Vernehmen und Verstand. Schon Aristoteles zählt zahlreiche Facetten der spezifischen Fähigkeiten des animal rationale auf. Er nennt die theoretische und praktische Vernunft, untereilt diese in Herstellungskönnen, Klugheit im Handeln, intuitive Einsicht und Weisheit. Für Aristoteles ist der Mensch das Lebewesen, das den lógos besitzt, wobei er die Sprache und die Vernunft als die Fähigkeit des Denkens miteinbezieht.

Der rationalistische Hauptstrom der abendländischen Denkgeschichte war gemäß Herbert Schnädelbach eine Philosophie der objektiven Vernunft, der von Anbeginn allerdings immer Zweifler gegenüberstanden. Schon die Sophisten bestritten, dass es möglich sei, die objektive Wirklichkeit, wie sie unabhängig von den Vorstellungen und Meinungen der Menschen existiert, zu erkennen. Dagegen sah René Descartes keine andere Möglichkeit, als in der Welterklärung zunächst von der subjektiven Vernunft auszugehen und durch methodische Zweifel und Erkenntniskritik die Fundamente für sicheres Wissen aufzubauen.

Die philosophische Kontroverse zwischen Rationalisten und Empiristen

Das Jahrhundert vor dem Erscheinen der „Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant im Jahr 1781 war laut Herbert Schnädelbach von einer Kontroverse zwischen Rationalismus und Empirismus bestimmt, wobei beide Parteien die Frage zu beantworten versuchten, wie die subjektive Vernunft zu wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangt und wie weit diese reichen. Die Rationalisten vertraten dabei die These, dass das Bewusstsein über Vorstellungen verfügt, die nicht aus der Erfahrung stammen, sondern als „eingeborene“ im Menschen vorgefunden werden können.

Die Gegenposition der Empiristen vertrat zuerst John Locke mit seinem Werk „Versuch über den menschlichen Verstand“, das 1690 erschien. Darin vertrat er die These, dass das menschliche Bewusstsein nur über Vorstellungen verfügt, die ihm durch die sinnliche Erfahrung zugeführt wurden. Herbert Schnädelbach schreibt: „Empirismus ist seitdem die erkenntnistheoretische Position, die die Erfahrung zum Prinzip macht und all unser Wissen darauf zurückführen möchte.“

Von Hans Klumbies