Herbert Marcuse begibt sich auf die Spur des Existentialismus

Das Gefühl der Absurdität, das in der Welt vorherrscht, drückt das Klima aus, in dem der Existentialismus entsteht. Den weltberühmten Schriftsteller Albert Camus zählt Herbert Marcuse zwar nicht zur Schule des Existentialismus, dafür zeichnet er aber die Grunderfahrung, die sein Denken durchzieht, als Wurzel des Existentialismus. Es ist die Zeit des totalitären Terrors, in der der Existentialismus geboren wird. Das Naziregime ist in Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht, Frankreich von deutschen Truppen besetzt. Die Werte und Normen der Kultur des Abendlandes sind vom System des Faschismus gleichgeschaltet und ersetzt worden. Herbert Marcuse schreibt: „Das Denken ist wieder einmal auf sich selbst zurückgeworfen worden durch eine Wirklichkeit, die allen Versprechungen und Ideen widerspricht, die den Rationalismus so gut wie die Religion, Idealismus so gut wie Materialismus widerlegt.“

Im Existenzialismus lebt der Mensch in einer zweckfreien und hoffnungslosen Welt

Wieder einmal befindet sich das Denken laut Herbert Marcuse in einer cartesianischen Situation und fragt nach der einen gewissen und klaren Wahrheit, die es noch möglich macht zu leben. Die Frage bezieht sich nicht auf irgendeine abstrakte Idee, sondern auf die konkrete Lage des Individuums. Die Frage lautet: „Welches ist die sichere und klare Erfahrung, die seinem Leben jetzt und hier, in dieser Welt, eine Grundlage zu geben vermag?“ Gleich René Descartes findet der Existentialismus die Grundlegung in der Selbstgewissheit des Cogito, im Bewusstsein des Egos.

Im Existentialismus ist das Cogito in eine absurde Welt geworfen, in der das rohe Faktum des Todes und der unkorrigierbare Prozess der Zeit allen Sinn verleihen. Das Subjekt ist dabei selbst absurd geworden und seine Welt frei von Zweck und Hoffnung. Der Mensch existiert in einem Zirkel von Enttäuschung und Misserfolg. Die Welt ist in ihrem Wesen gottlos und lässt keinen Raum für irgendwelche transzendentale Zuflucht. Die Rekonstruktion des Denkens auf der Basis der Absurdität führt allerdings nicht in den Irrationalismus.

Das Leben muss ohne Gnade und Schutz gelebt werden

Der Existentialismus ist keine Revolte wider die Vernunft. Herbert Marcuse erläutert: „In der allgemeinen Zerstörung und Enttäuschung bleibt eines: die unbarmherzige Klarheit und Luzidität des Geistes, der alle Sprünge und Ausflüchte abweist, in der beständigen Gewissheit, dass das Leben ohne Gnade und Schutz gelebt werden muss.“ Der Mensch nimmt im Existentialismus diese Herausforderung an und sucht seine Freiheit und sein Glück in einer Welt, in der es keinerlei Hoffnung, Sinn, Fortschritt und Morgen gibt.  

Dieses Leben im Existentialismus ist nichts als Bewusstsein und Auflehnung. Die Erfahrung der absurden Welt lässt laut Herbert Marcuse einen neuen und extremen Rationalismus entstehen, der diese Denkweise von jeder faschistischen Ideologie trennt. Der neue Rationalismus trotzt allerdings der Systematisierung. Das Denken im Existentialismus wird zwischen dem Gefühl der Absurdität und dessen Verständnis, zwischen Dichtung und Philosophie in der Schwebe gehalten.

Kurzbiographie: Herbert Marcuse

Herbert Marcuse wurde am 19. Juli 1898 in Berlin geboren. Im Jahr 1934 emigrierte der Philosoph, Politologe und Soziologe in die USA, wo er bis zu seiner Emeritierung als Professor für Philosophie an der University of California lehrte. Zu seinen bekanntesten Schriften zählen: „Vernunft und Revolution“, „Triebstruktur und Gesellschaft“, Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus“, „Der eindimensionale Mensch“, „Kultur und Gesellschaft I und II“ sowie „Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft“. Herbert Marcuse starb am 29. Juli 1979 in Starnberg.

Von Hans Klumbies