Aristoteles analysiert die Eigenschaften tugendhafter Handlungen

Im dritten Buch der Nikomachischen Ethik entwickelt Aristoteles ergänzende Analysen zur Verwirklichung der Tugend. Für ihn war vollkommen klar, dass eine tugendhafte Handlung nur dann vorliegt, wenn sie freiwillig vollzogen wird. Denn wer unter Zwang oder Gewalt eine gute Tat vollbringt, handelt nicht tugendhaft. Allerdings ist das Phänomen komplexer als man auf den ersten Blick meint. Es gibt laut Hellmut Flashar durchaus Grenzfälle. Er nennt ein Beispiel: „Ein Tyrann, der Kinder oder Eltern in seiner Gewalt hat, befiehlt ein Verbrechen. Soll man es ausführen, um Kinder oder Eltern zu retten? Wie ist eine solche Handlung zu bewerten?“ Hellmut Flashar lehrte bis zu seiner Emeritierung als Klassischer Philologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ und „Sophokles. Dichter im demokratischen Athen“.

Ethisch relevantes Handel ist immer das Ergebnis einer Entscheidung

Offenbar gibt es Mischformen, deren Charakter der Freiwilligkeit vom Zeitpunkt und Umständen der Handlung abhängig sind. Für Hellmut Flashar gilt jedenfalls eine Handlung als unfreiwillig, wenn der Ursprung außerhalb des Handelnden liegt. Eine besonders hoch zu bewertende Handlung liegt vor, wenn der Ausführende dabei Schmerzen oder andere Unannehmlichkeiten bewusst und freiwillig in Kauf nimmt. Neben der Einschränkung der Freiwilligkeit durch Gewalt erkennt Aristoteles auch eine Form der Unfreiwilligkeit im Unwissen.

Ein ethisch relevantes Handeln ist für Aristoteles stets auch das Ergebnis einer Entscheidung. Diese ist freiwillig, aber nicht alles Freiwillige ist Gegenstand einer Entscheidung, sondern nur das, was in der Macht eines Menschen steht. Das ist bei weitem nicht alles, was den Menschen betrifft, sondern nur das, was ein Individuum gestalten kann. Die Entscheidung bezieht sich auch nicht auf alles, was jemand wollen kann, etwa die Gesundheit, sondern auf die Schritte dahin und die Mittel dazu, und zwar mit planender Überlegung.

Der Ursprung von Überlegungen liegt im Menschen selbst

Die Entscheidung bezieht sich auf die Wahl der Mittel, nicht der Ziele. Aber auch dabei schränkt Aristoteles laut Hellmut Flashar weiter ein. Eine Entscheidung ist für ihn nur da am Platze, wo sie auch ausgeführt werden kann. Hellmut Flashar nennt ein Beispiel: „Es gibt vernünftige und ethisch wertvolle Vorhaben, zu deren Verwirklichung man Geld braucht, das man nicht herschaffen kann; dann könnten solche Vorhaben nicht Gegenstand einer Entscheidung sein.“ Die Hilfe von Freunden kann man allerdings bei einer Entscheidung mit einplanen.

Hellmut Flashar stellt fest, dass der Ursprung des Überlegens, das zu einer Entscheidung führt, im Menschen selbst liegen muss. Das Nachdenken muss dabei auch einmal zu einem Ende kommen. Denn wer endlos hin und her überlegt, kommt nie zu einer Entscheidung. Aristoteles definiert die Entscheidung als ein überlegtes Streben nach dem, was in der Macht des Menschen steht, wobei man aufgrund von Überlegungen eine Entscheidung treffen und dann entsprechend des Nachdenkens danach strebt.

Von Hans Klumbies