Aristoteles war ein hervorragender Organisator und Sammler

Es ist nicht bekannt, wie viele Forschungsreisen Aristoteles unternommen hat. Aber eine Reise ist laut Hellmut Flashar gut dokumentiert, die ihn in Begleitung seines Neffen Kallisthenes nach Delphi geführt hat. Diese Reise fand wahrscheinlich zu einer Zeit statt, nachdem Aristoteles keine Pflichten mehr am makedonischen Hof zu erfüllen hatte. Aristoteles reiste mit dem Ziel nach Delphi, um aus den dortigen Archiven die Liste der Sieger in den pythischen Spielen, die in Delphi ausgetragen wurden, zusammenzustellen. Der große griechische Denker ist dafür mit einem Ehrendekret ausgezeichnet worden, das auf einer Inschrift erhalten ist. Hellmut Flashar lehrte bis zu seiner Emeritierung als Klassischer Philologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ und „Sophokles. Dichter im demokratischen Athen“.

Aristoteles sammelt die Verfassungen von 158 griechischen Städten

Aristoteles ist für diese Aufgabe in Delphi nicht als der große Denker engagiert worden, sondern als der hervorragende Organisator und Sammler, der über die Fähigkeit verfügt, eine riesige Menge von Daten zu überblicken und zu analysieren. Hellmut Flashar erklärt: „Denn er hat, ganz abgesehen von der enormen Sammeltätigkeit für zoologische Zwecke, zahlreiche weitere Sammlungen angelegt: eine Liste der Sieger bei den Olympischen Spielen und eine Liste der Uraufführungen von Tragödien und Komödien im Dionysostheater zu Athen.

Es sind dies die sogenannten „Didaskalien“ in denen die Sieger und kurze Inhaltsangaben von etwa 1.580 Tragödien und circa 970 Komödien verzeichnet waren und die über mehrere Zwischenquellen hinweg die Grundlage der Kenntnis von den verlorenen griechischen Dramen, zumindest ihrer Titel, bilden. Schließlich gehört zur Sammeltätigkeit des Aristoteles auch die Zusammenstellung der Verfassungen von 158 griechischen Städten, von denen die „Verfassung der Athener“ durch einen 1891 publizierten Papyrusfund wiederentdeckt worden ist.

Aristoteles vermisst das intellektuelle Klima Athens

Dieses Werk bildet die Grundlage für das Wissen über die frühe Verfassungsgeschichte Athens. Daneben ist die Verfassung der Lakedaemonier (Spartaner) für Hellmut Flashar von Interesse, da von ihr immerhin dreizehn Fragmente vorliegen, während es zur Darstellung der Verfassungen der vielen kleineren griechischen Städte keine nennenswerten Quellen gibt. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass Aristoteles Mitarbeiter und Hilfskräfte beschäftigte, so ist die ungeheuere Leistung der Sammeltätigkeit, die ja so nebenbei erfolgte, neben der Arbeit an philosophischen und zoologischen Werken, schier unbegreiflich.

Trotz aller Aktivitäten, Ehrungen und Anerkennungen vermisste Aristoteles das intellektuelle Klima Athens. Hellmut Flashar schreibt: „Dort fanden die philosophischen Auseinandersetzungen statt, dort gab es ein Publikum für Vorträge und Vorlesungen aller Art.“ Doch an eine schnelle Rückkehr nach Athen konnte Aristoteles vorerst nicht denken, was vor allem an den politischen Verhältnissen lag. Der Nachwelt sind sie nicht zuletzt durch die vier „Philippischen Reden“ des Demosthenes bekannt.

Von Hans Klumbies