Hans-Werner Sinn erklärt die Dramatik im Euroraum

Für Hans-Werner Sinn ist die Eurokrise möglicherweise noch zu lösen, aber auf keinen Fall auf dem Weg, der jetzt eingeschlagen wurde, indem man immer neues Geld dem alten hinterher wirft. Dann ist das ein Fass ohne Boden. Er fordert von der Europäischen Union sicherzustellen, dass in den Problemländern die nötigen Anpassungen geschehen. Besonders in Griechenland. Die müssen ihr hohes Preis- und Lohnniveau drastisch senken. Hans-Werner Sinn erklärt: „Viele Länder leben noch immer über ihre Verhältnisse. Sie importieren wesentlich mehr, als sie exportieren – die Leistungsbilanzen von Griechenland und Portugal sind zehn bis zwölf Prozent im Defizit.“ Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn ist Präsident des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Direktor des Center for Economic Studies (CES) der Ludwig-Maximilians Universität in München.

Ein Austritt Griechenlands aus der EU ist für Hans-Werner Sinn denkbar

Hans-Werner Sinn bemängelt, dass sich die Problemländer nicht anpassen müssen, solange man ihnen Kredite gibt. Ohne Kredit könnten sie die Importe nicht kaufen und es gäbe kein Defizit. Der Ökonom sagt: „Dann müssten sich die Länder privat verschulden, und die hohen Zinsen würden eine deutliche Abkühlung der Volkswirtschaften bewirken. Man würde billiger und wettbewerbsfähiger. Das ist der einzige Weg.“ Für Hans-Werner Sinn ist es jetzt an der Zeit, ein behutsames Ende der Politik einzuleiten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Staatengemeinschaft offene Kredite gewährt.

Die Europäische Union muss laut Hans-Werner Sinn einen Zwischenweg finden zwischen dem Selbstbedienungsladen, wie er heute besteht, und dem sofortigen Zudrehen des Geldhahns. Seiner Meinung nach wird sich ohne Haircut das Problem Griechenland nicht lösen lassen. Er sagt: „Die Gläubiger müssen einen Teil der Schulden erlassen, weil Griechenland sie sowieso nicht zurückzahlen kann.“ Selbst der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ist für Hans-Werner Sinn unter verschiedenen schrecklichen Alternativen die am wenigsten schreckliche Lösung.

Die nächsten Generationen werden vor einem riesigen Schuldenberg stehen

Das heißt für Hans-Werner Sinn allerdings nicht, dass man die Griechen zum Austritt auffordern soll. Was sie machen, ist allein ihre Entscheidung. Ein Austritt Griechenlands ist realistisch, solange Griechenland auf Transferzahlungen aus der Staatengemeinschaft hoffen kann. Er erklärt: „Aber wenn die Transfers ausbleiben, dann werden sie den Austritt vorziehen. Die notwendige Abwertung von 20 bis 30 Prozent, um die Unternehmen wieder wettbewerbsfähig zu bekommen, werden sie sicher nicht im Euroraum vollziehen.“

Wenn keine politische Kehrtwende in Europa eintritt, wird sich der Euro gemäß Hans-Werner Sinn von der Währungsunion zur Transferunion entwickeln. Und dieser Prozess wird schwer zu stoppen sein. Hans-Werner Sinn erklärt die Gründe: „Die Politiker werden jedes Mal sagen: Wenn ich jetzt noch einmal neues Geld gebe, bin ich erst mal wieder für zwei, drei Jahre gerettet, und wer weiß, ob ich danach überhaupt noch im Amt bin.“ Damit wird allerdings in Europa eine gigantische Schuldenspirale in Gang gesetzt, welche die nächsten Generationen massiv belastet und ihren Lebensstandard einschränkt.

Von Hans Klumbies