Hans-Peter Nolting korrigiert das Bild einer gewalttätigen Jugend

Verglichen mit Kindern können Jugendliche deutlich schwerwiegendere gewalttätigere Handlungen begehen. Das liegt nicht nur an ihrer Körperkraft – auch Waffengebrauch oder Alkoholkonsum können hinzukommen, und zu einem beachtlichen Teil begehen sie ihre schändlichen Taten in Gruppen. Hans-Peter Nolting fügt hinzu: „Weiterhin bewegen sich Jugendliche weit häufiger außer Haus, also im öffentlichen Raum.“ Aus verschiedenen Gründen fallen ihre bösen Taten viel mehr auf als die von Kindern. Allerdings empfinden manche Eltern ihre jugendlichen Söhne und Töchter auch im häuslichen Umgang als aggressiv, wenn sie sich etwa in patziger Tonart gegen Kontrollen wehren oder Türen knallend in ihren Zimmern verschwinden. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

Die meisten Jugendlichen verstehen sich gut mit ihren Eltern

Das alles passt zwar gut zu dem Klischee vom Jugendalter als einer Zeit der Krise und des Aufruhrs, dennoch kann man nicht von einer hohen altersbedingten Aggressivität sprechen. Die meisten Jugendlichen verstehen sich weiterhin gut mit ihren Eltern und lassen sich von ihnen zum Beispiel zu Schulproblemen und Zukunftsperspektiven beraten. Hans-Peter Nolting ergänzt: „Und sollte das Klima in der Eltern-Kind-Beziehung gereizter werden, haben daran die Eltern meist nicht weniger Anteil als die Jugendlichen.“

Die wichtigste Korrektur am Bild von der gewalttätigen Jugend aber ist diese: Hier wird auffälliges antisoziales Verhalten mit dem Alter erklärt, obwohl es sich um Verhaltensstörungen einer kleinen Minderheit von Jugendlichen handelt, also um eine Problem von Personen. Forschungen belegen, dass man zwei sehr unterschiedliche Phänomene auseinanderhalten muss: Da ist einerseits die große Mehrheit, die in der Jugendzeit gelegentlich leichte Formen von Gewalt und anderen Straftaten wie Sachbeschädigungen oder Ladendiebstahl verübt und bei denen dies eine vorübergehende Episode bleibt.

Hochaggressive Jugendliche haben oft eine lebenslange kriminelle Karriere vor sich

Andererseits sind da jene fünf bis zehn Prozent der Jugendlichen, deren Verhalten nicht mit dem Alter zusammenhängt, sondern mit dauerhaften antisozialen Neigungen. Hans-Peter Nolting erklärt: „Es mag zwar sein, dass sie erst im Jugendalter öffentlich auffallen, weil ihre Taten jetzt spektakulärer sind. Aber meist waren diese Jugendlichen schon im Kindesalter hochaggressiv, und ihre Neigungen werden wahrscheinlich nach der Jugendzeit nicht von selbst wieder zurückgehen. Nicht wenige haben eine lebenslange kriminelle Karriere vor sich.“

Neben diesen chronisch antisozialen sowie die vorübergehend schwach aggressiven und delinquenten Jugendlichen gibt es natürlich auch die überaus friedlichen und vernünftigen, die sich selbst leichte Regelverstöße nicht gestatten, weil sie relativ ängstlich oder bereits in verantwortungsvolle Aufgaben eingebunden sind. Im Alter zwischen 20 und 25 Jahren sinkt bei den meisten Menschen die Rate der Aggression und Kriminalität wieder ab. Auch kommt es nur selten vor, dass ein Mensch erst im Erwachsenenalter ausgeprägte antisoziale Neigungen entwickelt. Quelle: „Psychologie der Aggression“ von Hans-Peter Nolting

Von Hans Klumbies