Ethiken beschreiben die Regeln des Zusammenlebens

Die Ethik beschäftigt sich seit der Antike auf der einen Seite in erster Linie mit den Regeln des Zusammenlebens. Auf der anderen Seite fragt sie laut Hans-Martin Schönherr-Mann auch danach, wie sich ein Mensch ethisch selber formt, das heißt, wie er sein Leben ethisch führt. Dabei entwickeln sich im Verlauf der Geschichte verschiedene Formen der Ethik, die zumeist Sammlungen von Regeln, Geboten und Verboten für den Einzelnen sowie deren Begründungen zusammenfasst. Hans-Martin Schönherr-Mann nennt als Beispiele die Ethik des alten Testaments mit den mosaischen Geboten, die antiken Ethiken der Griechen, die christliche, die islamische, die protestantische und jene der Aufklärung. Prof. Dr. Dr. Hans-Martin Schönherr-Mann ist seit 2003 Professor für Politische Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Es gibt zwei Grundmodelle in der Ethik

Ethiken beschreiben und reflektieren gemeinhin sittliche Systeme, während sich die Moral laut Hans-Martin Schönherr-Mann in erster Linie um die Motivationsstruktur des Individuums kümmert. Dabei kommt es weniger auf die Tat eines Menschen an, sondern warum er eine Handlung ausführen möchte. Hans-Martin Schönherr-Mann schreibt: „Wenn jemand das Gute wollte, es aber handelnd misslingt, so erweist er sich trotzdem als moralisch.“

Hans-Martin Schönherr-Mann erklärt, dass man in der Regel zwei Grundmodelle in der Ethik unterscheidet, nämlich die des Aristoteles und diejenige Immanuel Kants. Für Aristoteles ergeben sich die sittlichen Orientierungen und Regeln aus der Polis heraus, in die die Bürger hineingeboren werden. Die gleichen und freien Bürger Athens setzen sich für ihre Stadt ein. Dazu benötigen sie bestimmte Tugenden des Handelns. Dazu zählt neben dem Mut und der Klugheit auch die Freundschaft. Letztgenannte, weil sich die Polis im antiken Griechenland nicht auf die Familie stützen darf.

Die Vernunft ist die letzte Gemeinsamkeit in der Ethik Immanuel Kants

Als Immanuel Kant seine Ethik entwirft, konkurrieren verschiedene Klassen miteinander und erheben politische Ansprüche aus unterschiedlichen Interessenlagen heraus. Daher bleibt in seiner Ethik nur noch als letzte Gemeinsamkeit die Vernunft selbst, die nicht mehr religiös fundiert ist. Immanuel Kant lebt in einem Zeitalter, in dem alle Lebensbereiche zunehmend verrechtlicht werden. Der Einzelne wird immer mehr Gesetzen unterworfen, die ihm vorgeben, was er zu tun hat.

Das ethische Problem, das dabei bleibt, ist für Hans-Martin Schönherr-Mann nur noch die Frage, ob sich der Einzelne freiwillig oder gezwungenermaßen an die Gesetze hält. Es geht in dieser Ethik nur noch um das Motiv des Handelns, mit anderen Worten nur noch um die Moral. Dieses Handeln soll durch die Vernunft bestimmt werden. Da sich die Vernunft aber an der Logik orientiert, liefert sie keine inhaltlichen Prinzipien mehr, sondern nur noch die Formen. Hans-Martin Schönherr-Mann schreibt: „Sie sagt nur noch, wie Motive zu gestalten sind, damit sie als moralisch bezeichnet werden können.“

Von Hans Klumbies