Die Philosophie wird mit der Wissenschaft verknüpft

Philosophie bedeutet nach Hans-Georg Gadamer theoretische Interessen verfolgen und eine Lebensführung, die die Fragen nach der Wahrheit und nach dem Guten so stellt, dass dabei weder auf den eigenen Gewinn, noch auf den öffentlichen Nutzen reflektiert wird. Die Philosophie ist mit der europäischen Zivilisation aufs engste verknüpft und hat in der allgemeinen Bedeutung von Theoria lange den Sammelbegriff für Wissenschaft überhaupt gebildet. Hans-Georg Gadamer schreibt: „Noch Isaac Newtons berühmte „Grundlagen der Naturwissenschaft“, durch die er der Begründer der modernen Physik geworden ist, hießen Philosophiae naturalis pricipia mathematika, die Elemente und Grundlagen der Naturerkenntnis.

Die Differenzierung des Denkens in Europa

Für Hans-Georg Gadamer steht fest, dass die Philosophie in der abendländischen Kultur von Anbeginn an mit dem Auftreten von Wissenschaft verknüpft war. Er erklärt: „Das ist das Neue, das Europa zu seiner Einheit gebracht hat und das heute von der in Europa geschaffenen wissenschaftlichen Kultur aus die gefährliche Lage der Weltzivilisation in allseitiger Ausstrahlung mitbestimmt.“ Dennoch ist ihm auch klar, dass schon in der griechischen Antike der Weg des Denkens und der Wille zum Wissen nicht auf den kleinen Erdzipfel Europa beschränkt gewesen ist.

Hans-Georg Gadamer weist in diesem Zusammenhang auf die großen Leistungen der Hochkulturen des Vorderen Orients, Lateinamerikas, Süd- und Ostasiens hin. Er erläutert: „Wir wissen somit, dass Kultur nicht notwendig – und überall sonst nicht – den Weg über die Wissenschaft und ihre Potenz genommen hat. Das ist vielmehr eben Europa, dass es diesen Weg gegangen ist.“ Nur in Europa hat es seiner Meinung nach eine solche Differenzierung der geistigen Tätigkeiten gegeben wie sie in der Unterscheidung von Wissenschaft, Kunst und Religion von der Philosophie bekannt ist.

Die Philosophie und die Wissenschaft wurden in Griechenland entwickelt

In Europa hat das geistige Schicksal laut Hans-Georg Gadamer dadurch Gestalt gewonnen, weil zwischen diesen vielfältigen Ausformungen geistiger Schöpferkraft die schärfsten Auseinandersetzungen stattfaden. Er schreibt: „Insbesondere ist das Verhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft für die Lage Europas in der Gegenwart von bestimmender Bedeutung geworden.“ Die Form der Wissenschaft und die Form des Begriffs, der die philosophische Durchdringung der Erkenntnis der Welt trägt, das sind für Hans-Georg Gadamer offenbar Besonderheiten, Vorzüge und auch Aufgaben, die allein der europäischen Zivilisation ihren Stempel aufgedrückt haben.

Die Philosophie und die Wissenschaft haben sich eben beide in Griechenland entwickelt. Die Griechen haben die euklidische Geometrie geschaffen, und unter anderem auf den Gebieten der Medizin, der Astronomie, der Musik wissenschaftliche Erkenntnisse erworben, zusammengefasst und weitergereicht. Hans-Georg Gadamer schreibt: „Sie haben eine weit ausgebreiteten Erfahrungsbestand aufgenommen, Dante hat den großen abschließenden Weisen und Denker der griechischen Philosophie, den Aristoteles, den Meister derer, die das wissen, genannt.“

Von Hans Klumbies