Günter Grass warnt vor dem Zerfall der Demokratie

Für den Literaturnobelpreisträger Günter Grass sind es nicht zuletzt die großmächtigen Banken, deren Lobbytätigkeit mittlerweile das gewählte Parlament mitsamt der Regierung in Geiselhaft genommen hat. Der Schriftsteller sagt: „Die Banken spielen Schicksal, unabwendbares. Ihre Vorstände und Großaktionäre formieren sich zu einer Parallelgesellschaft.“ Die gravierenden Folgen ihrer Finanzwirtschaft, die hoch riskant ist, haben schließlich die Bürger als Steuerzahler zu begleichen. Die Menschen bürgen für die Banken, deren Milliardengräber ständig neue Geldmittel erfordern. Laut Günter Grass sind auch die Tages- und Wochenzeitungen, also die Journalisten, dieser Allmacht der Banken ausgesetzt. Er erklärt: „Es bedarf keiner altmodischen Zensur mehr, die Vergabe oder Verweigerung von Anzeigen reicht aus, um die ohnehin in Existenznot geratenen Printmedien zu erpressen.“

Der Lobbyismus macht das Parlament und die Regierung unglaubwürdig

Dennoch hat laut Günter Grass der Journalismus die Aufgabe über unlegitimierten Machtmissbrauch der Lobbyisten der Banken aufzuklären, da er die Demokratie weit mehr gefährde, als die hysterisch heraufbeschworenen Gefahren, die im Stil eines Thilo Sarrazin in der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreiten. Der ausufernde Lobbyismus macht die Parlamentarier und die Regierung unglaubwürdig. Er trägt dazu bei, dass die Wahlenthaltung der Bürger zunimmt. Günter Grass fordert: „Ihm müssen, da er nicht abzuschaffen ist, weil Interessenvertretungen durchaus Berechtigungen haben, strenge Grenzen gesetzt werden.“

Für Günter Grass bleibt es niemandem erspart, um die Zukunft der Demokratie in Deutschland und der noch durch die Verfassung geschützten Freiheitsrechte besorgt zu sein. Günter Grass erklärt: „Ich muss und will mich nicht auf Weimar als warnendes Beispiel berufen, die gegenwärtigen Ermüdungs- und Zerfallserscheinungen im Gefüge unseres Staates bieten Anlass genug, ernsthaft daran zu zweifeln, ob unsere Verfassung noch garantiert was sie verspricht.“

Der Kapitalismus ist zu einer Kapitalvernichtungsmaschinerie verkommen

Günter Grass stellt für Deutschland aus folgenden Gründen nicht mehr und nicht weniger als die Systemfrage: Erstens entsteht in Deutschland eine auseinanderdriftende Klassengesellschaft, auf deren einer Seite die Mehrheit verarmt und auf der anderen Seite sich eine reiche Oberschicht absondert. Zweitens gibt es einen Schuldenberg, dessen Gipfel mittlerweile von einer Wolke aus Nullen verhüllt ist. Drittens die Unfähigkeit und Ohnmacht der Parlamentarier gegenüber der geballten Macht der Interessenverbände. Viertens der Würgegriff der Banken, dem sich die Politik nicht entziehen kann.

Für Günter Grass gibt es keinen Zweifel, dass das kapitalistische System, befördert durch den Neoliberalismus und alternativlos, wie es sich darstellt, zu einer Kapitalvernichtungsmaschinerie verkommen ist. Der Kapitalismus hat sich in einen Moloch verwandelt, asozial und von keinem Gesetz wirksam gezügelt. Günter Grass prognostiziert: „Eines scheint mir gewiss zu sein: Sollten sich die westlichen Demokratien als unfähig erweisen, den real drohenden und voraussehbaren Gefahren mit grundlegenden Reformen zu begegnen, werden sie all dem nicht standhalten können, was in den kommenden Jahren unabweisbar sein wird.“ Die Demokratie würde zerfallen und von dem entstehenden Vakuum könnten schreckliche Kräfte Besitz ergreifen, die zu beschreiben selbst die Vorstellungskraft eines Literaturnobelpreisträgers überfordert ist.

Von Hans Klumbies