Viele Kinder leben in mit Watte ausgepolsterten goldenen Käfigen

Die Anzahl der sogenannten Helikopter-Eltern, die ihren Nachwuchs ständig besorgt umkreisen und ihnen jede Form der Anstrengung abnehmen wollen, nimmt ständig zu. Auch wenn Kinder zum Beispiel längst alt genug wären, den Schulweg alleine zu meistern, bringen viele Eltern ihre Sprösslinge dennoch mit dem Auto bis vor die Schultür. Trendforscher und Psychologen gehen davon aus, dass vor allem die irrationale Angst der Eltern vor Verkehrsunfällen und Kindesentführern hinter dem Phänomen der „Shuttle-Kids“ steckt. Der Arzt und Buchautor Günther Loewit erklärt den Grund für diese extreme Vorsicht: „Über Jahrhunderte hinweg betrug die durchschnittliche Geburtenrate etwa sechs Kinder – da war ein Todesfall aufgrund von Krankheiten oder zu wenig Nahrung schon quasi eingeplant. Heute liegt sie in Österreich bei 1,4 Kindern pro Frau. Diese statistisch 1,4 Kinder müssen natürlich unendlich überbehütet werden, weil hier ein Verlust nicht verkraftbar wäre.“

Überbehütete Kinder bleiben bis ins Erwachsenenalter unselbstständig

Was vielen Eltern dabei nicht bewusst ist: Da den Kindern durch die Überbehütung die Möglichkeit genommen wird, selbst Erfahrungen zu machen, bleiben sie bis ins Erwachsenenalter – und manchmal sogar ein Leben lang – unselbstständig. Auch jene Kinder, die bei jeder kleinen Schwäche gefördert werden, reagieren Studien zufolge auf Krisensituationen unbeholfener als jene, die sich von klein auf selbst durchkämpfen mussten. Die ständige Sorge der Eltern um ihr Kind führt auch dazu, dass Auffälligkeiten im Verhalten genau analysiert werden und jede nicht ins gewünschte Schema passende Reaktion als potentielle Krankheit gedeutet wird.

Kinderarzt Günther Loewit erklärt: „Die Krankheiten der Kinder haben sich verändert. Früher waren es oft Schürfwunden oder blaue Flecken – die gibt es heute kaum mehr, nachdem die Kinder ja, überspitzt formuliert, in mit Watte ausgepolsterten goldenen Käfigen leben. Dafür ist die Anzahl der psychischen Krankheiten gestiegen.“ Diese steigende Zahl führt der Arzt allerdings weniger auf ein tatsächlich häufigeres Auftreten der Krankheiten zurück als vielmehr auf die Suche der Eltern nach Diagnosen.

Wilde Kinder brauchen ausreichend Bewegung und einen geregelten Alltag ohne Fernsehen

Günther Loewit erläutert: „Eltern reagieren mitunter panisch, wenn ihnen etwas nicht normal vorkommt, und sind dann nicht in der Lage, mit diesem Problem umzugehen. Deswegen wenden sie sich an die Medizin und erwarten eine Diagnose. Wenn es eine Diagnose gibt, gibt es auch eine Therapie und das Problem ist aus der Sicht der Eltern gelöst – sie tragen dann ja auch keine Verantwortung mehr.“ Ein Beispiel ist die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung).

Die Symptome der umstrittenen Krankheit sind Unruhe, Konzentrationsschwäche, impulsives Handeln und ein ausgeprägter Bewegungsdrang. Man geht davon aus, dass die Anzahl der Fehldiagnosen bei ADHS weitaus höher ist als bei jeder anderen Krankheit. Denn dass ein Kind nicht ruhig sitzen kann und sich nicht immer vernünftig benimmt, ist ja nun nicht gerade eine besondere Ausnahmeerscheinung. Jugendarzt Michael Hauch erklärt eine Behandlungsalternative zu ADHS-Medikamenten wie etwa Ritalin: „Bei gesunden, lediglich unkonzentrierten, wilden Kindern ist ausreichend Bewegung und ein geregelter Alltag ohne Fernsehen jeder Therapie und jedem Medikament überlegen – und garantiert nebenwirkungsfrei.“ Quelle: moments – Das Magazin für die schönsten Augenblicke

Von Hans Klumbies