Große Denker erobern das 20. Jahrhundert

Henning Ritter porträtiert in seinem Buch zwölf große Denker des vergangenen Jahrhunderts, die in ihrer jeweiligen Disziplin neue und unerforschte Wege beschritten haben. Dazu zählen Sigmund Freud, Franz Kafka, Ludwig Wittgenstein, Aby Warburg, Walter Benjamin, Carl Schmitt, Alexandre Kojève, André Malraux, Anthony Blunt, Elias Canetti, Isaiah Berlin und Claude Lévi-Strauss. Seine Kurzbiographien zeigen die Vielzahl von geistigen Antrieben, von exzentrischen Ideen und theoretischen Traumgebäuden. Der Autor ist seit vielen Jahren Redakteur bei der Allgemeinen Frankfurter Zeitung und dort Leiter des Ressorts Geisteswissenschaften.

Verdichtete und intellektuelle Portraits

Der Außenstehende weiß nicht, ob die Ideen und Theorien der großen Denker durch die realen Katastrophen des 20. Jahrhunderts oder durch die immensen Vorstellungskräfte der jeweiligen Person hervorgebracht wurden. Die kurzen biographischen Essays verknüpfen geschickt Motive des Denkens und des Lebens miteinander, so dass verdichtete, intellektuelle Portraits entstehen.

Selbst der geniale Psychologe und Traumdeuter Sigmund Freud fühlte sich mehr als ein Eroberer denn als Wissenschaftler. So war es der Feldherr Hannibal, mit dem sich Sigmund Freud am stärksten identifizierte. Alle in diesem Band versammelten großen Denker sind einen überwiegenden Teil ihres Lebens Eroberungsträumen gefolgt, bevor sie über ihr Werk zu reflektieren begannen.

Die Logik unterscheidet sich von jeder anderen Wissenschaft

Den Philosophen Ludwig Wittgenstein begleitete zum Beispiel immer die Frage, ob seine Werke wirklich Philosophie, wirklich philosophisch wären. Er machte eine strenge Unterscheidung zwischen einem äußerst gescheiten Mann und einem Philosophen. Denn er vermutete zwischen Klugheit und Philosophie eine unüberbrückbare Kluft und Philosophie konnte für ihn nur etwas sein, was sich außerhalb der Region befand, in der man sie normalerweise ansiedelte.

Für Ludwig Wittgenstein war klar, dass sich eines Tages herausstellen wird, dass die Logik von völlig anderer Art ist als jede andere Wissenschaft. Elias Canetti hat dreißig Jahre lang an seinem Hauptwerk „Masse und Macht“ gearbeitet. Aus der untergegangenen Welt der alten Völker will das Buch den Kern authentisch freilegen. Diese außerordentliche geistige und literarische Leistung Elias Canettis blieb ohne großen Zuspruch.

Die Barbarei der Menschen ist nicht auszurotten

Es tauchte viel eher die Frage auf, ob der Autor eine Genealogie der Barbarei statt einer Verteidigung der Menschlichkeit geschrieben hatte. Im Rückblick erschien es Elias Canetti so, als hätte er sich den alten Gesellschaften nur zugewandt, weil er sich mit einem Maximum an Barbarei gegen die Barbarei der eigenen Zeit wappnen wollte.

Es ist ein geistiger Gewinn, das Buch von Hennig Ritter zu lesen. Denn mag auch der zeitliche Abstand zu den ursprünglichen Erkenntnisleistungen, der in diesem Buch versammelten geistigen Eroberer, teilweise schon groß sein, so kann man doch immer noch neue Gesichtspunkte entdecken, über die nachzudenken sich lohnt.


Die Eroberer
Denker des 20 Jahrhunderts
Henning Ritter
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 222 Seiten, Auflage: 2008
ISBN: 9783406570391, 19,90 Euro

Von Hans Klumbies