Das Glück wird zur Hochleistungsdisziplin

Menschen wissen nicht, was auf sie als nächstes zukommt. Ob das Leben Lust sein wird oder Last, ob sie lachen dürfen oder weinen müssen. Sie haben weder die Macht über den nächsten Tag, noch über den nächsten Moment. Viele Menschen wollen inzwischen ein perfektes Leben haben, darunter machen sie es nicht, seit fast alles machbar scheint. Der Psychiater Manfred Lütz, der in Köln eine Klinik für psychisch Kranke leitet, hat viel mit Menschen zu tun, die zu viel Alkohol trinken, zu viel arbeiten oder zu viel Angst haben. Sie trauen sich selbst und anderen nicht, sind erschöpft und ohne Orientierung. In den vergangen Jahren sind aber auch immer mehr Menschen zu ihm gekommen, die es zum Problem erklären, aus der Fülle der Möglichkeiten nicht die richtige, die optimale, von allen Seiten abgesicherte Auswahl treffen zu können.

Die Suche nach dem Glück ist die Suche nach einem Sinn

Einen Satz hört Manfred Lütz in der letzten Zeit immer öfter: „Herr Doktor, ich bin nicht glücklich, können Sie mir helfen?“ Die meisten Philosophen definierten das Glück im Großen und Ganzen eher als Abwesenheit von Leiden und Trübsal und gaben den Rat, das Leben nicht an entgangenen Freuden zu messen, sondern eher daran, was einem erspart bleibt. Heute dagegen hat sich das Streben nach einem dauerhaften Glücksgefühl zu einer Hochleistungsdisziplin entwickelt. Das Glück hat dabei einen zwanghaften Charakter angenommen.

Aber es gibt kein Rezept, wie das Leben gelebt werden soll, ruhig und überlegt, souverän und wohlgefällig – keine Methode, keinen Kurs, keine Gebrauchsanweisung. Jeder Mensch muss das für sich selbst herausfinden. Manfred Lütz jedenfalls ist sehr verwundert darüber, dass sich die Leute jetzt auch noch mit dem Glück stressen: „Am Ende ist die Suche danach nicht mehr als die Suche nach einem Sinn, der sehr individuell ist. Der Anspruch an das Leben ist dann nicht, dass es perfekt ist. Sondern gelungen.“

Es gibt keine Formel für das Glück

Es gibt ein Wort, das schon fast aus der Zeit gefallen zu sein scheint: Zufriedenheit. Seine Grenzen zu akzeptieren und abhaken können, was nicht zu ändern ist, das kann eine große Lebenskunst sein. Nicht auf die anderen zu achten, in hektischen, hysterischen Tagen, im schnellen Leben, das von einer Übertreibung in die nächste taumelt, in der die Rede ist von Relevant-Set, Performance und Zielvereinbarung. Von Work and Life and Balance und dem Brennen für und dem Ausgebranntsein von.

Für Manfred Lütz gibt es keine „Glücksformel“. Er glaubt nur, dass diese verkrampfte Suche nach Glück die Leute unglücklich macht. Die schweren Leiden der Menschen haben seiner Meinung nach nicht zugenommen, aber die gefühlten: Störungen der Befindlichkeit, Schwierigkeiten im Leben, Burnout. Manfred Lütz erklärt: „Das hat oft damit zu tun, dass die Menschen einen absurden Ehrgeiz entwickeln und sich an Zielen orientieren, die sie nie erreichen werden; der Psychologe Paul Watzlawick nannte das mal „Utopie-Syndrom“.“ Quelle: Stern

Von Hans Klumbies