Die Gesellschaft fällt in Fitte und Fette auseinander

Nach aktuellen Studien ist die Hälfte der Deutschen übergewichtig. Besonders stark angewachsen ist die Anzahl der krankhaft Übergewichtigen. Mediziner und Politiker sagen übereinstimmend: „Stark übergewichtig heißt oft auch ungesund und damit teuer.“ Jeder Sechste gehört heute in die Kategorie „adipös“: Der Body-Mass-Index liegt dann nicht nur über 25 wie bei den normal Übergewichtigen, sondern sogar über 30. Mit der Zahl der richtig Fetten, steigt auch die der Diabetiker, der Herz-Kreislauf-Patienten und der Menschen mit Gelenkschäden. Und somit auch der Andrang auf Arztpraxen, Krankenhäuser und Reha-Kliniken. Gleichzeitig wächst das Heer der Fitten in der deutschen Bevölkerung. Immer weniger Leute rauchen, immer mehr verzichten auf Alkohol und Zucker, immer mehr leben komplett clean und detox, also so gut wie ohne Giftstoffe.

Ein gesunder Lebensstil will gepflegt sein

Die Gesellschaft in Deutschland klafft auseinander: in Fit und Fett. Der Alltag der beiden Gruppen wird immer unterschiedlicher. Und in den Unterschieden wird die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe sichtbar. Das fängt schon früh in der Kindheit an. Essen kann den Menschen auf zweierlei Weise ein gutes Gefühl vermitteln, was auch den Alltag prägt. Die eine Weise erleben in der Regel die Übergewichtigen: Essen befriedigt unmittelbar. Es wärmt, es tröstet und stillt den Hunger. Doch das hält nie lange an. Um es wieder zu spüren, muss mehr Essen her.

Die andere Art eines guten Gefühls ziehen eher die Fitten aus der Nahrung. Es ist die Vorstellung, seinem Körper etwas Gutes zu tun, nicht zuletzt durch Verzicht. Sie schenken ihrem Leib gesunde Kost, die reich an Vitaminen und Mineralstoffen ist. Aber auch dieses Gefühl ist kein Selbstläufer. Um es aufrechtzuerhalten, will der gesunde Lebensstil gepflegt sein. Die Fitten müssen sich also mehr anstrengen als die Fetten, aber sie werden dafür dauerhafter belohnt. Nicht nur mit einem guten Befinden, sondern auch mit dem Wissen: Ich schaffe etwas, was andere nicht schaffen.

Gesundheit ist sexy

Fitte Menschen haben ein größeres Selbstbewusstsein als Dicke. Sie stehen für Erfolg, Selbstkontrolle, Zielstrebigkeit, während es den Fetten an alldem zu mangeln scheint. Und weil jeder sehen kann, wenn jemand fett ist, gibt es da auch nichts zu verstecken. Wer nicht darunter leiden möchte, muss entweder dazu stehen oder abnehmen. Das Körpergewicht ist nicht nur etwas Persönliches. Es wird auch vom Umfeld und von Normen beeinflusst. Die wandeln sich immer mehr zugunsten der Fitten. Und derzeit ist überhaupt nicht absehbar, dass Figuren wir in der Epoche des Rokoko jemals wieder in Mode kommen könnten.

Stattdessen heißt der langfristige Trend, der auch von Zukunftsforschern bestätigt wird: Gesundheit ist sexy. Und damit sind schlanke, feste Körper mit dezenten Muskeln gemeint. Solche Körper stehen für Leistung, Status und Schönheit. Gleichzeitig war es nie leichter als heute, sich mit so einem normkonformen Körper trotzdem individuell abzugrenzen und sich mittels Ernährung, Wellness oder Sport ein scheinbar unverwechselbares Profil zu geben. Auf der anderen Seite war schlechtes Essen nie so verfügbar wie heute. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies