Gertrude Stein zertrümmert die Regeln der Grammatik

Gertrude Stein wollte die Welt der Sprache revolutionieren, wie vor ihr die Kubisten in der Malerei die Welt des Sehens revolutioniert hatten. Das absolut neue an ihren Vorhaben war, vom Sehen der Bilder auf das Verstehen der Sprache zu schließen. Sie war entschlossen, die Techniken des Kubismus, die sie zum Beispiel auf den Bildern von Pablo Picasso und Juan Gris gesehen hatte, in ihren Satzbau einfließen zu lassen. Gertrude Stein ließ die sakrosankten Regeln der Grammatik mit Subjekt, Prädikat und Objekt hinter sich, so wie sich die Maler von der Zentralperspektive verabschiedet hatten. Dieser kubistische Schreibstil entstand nicht spontan, sondern geht auf einen Satz von Madame de Sévigné zurück, der lautete: „Alles ist zersplittert, alles ist wahr.“

Die kubistische Sprachphilosophie der Gertrude Stein

In den Vordergrund der Sprache rückten bei Gertrude Stein das Gespaltene, das Zerhackte, das Zersplitterte. Die Bausteine ihrer Sprachphilosophie fand sie vor allem in der Kunsttheorie eines Paul Cézanne. Gertrude Stein wollte mit ihrer Sprache im Inneren des Lesers eine Spannung erzeugen. Sie verzichtete auch auf die Setzung von Zeichen. Falsche oder richtige Rechtschreibung lehnte sie strikt ab. Berühmt wurden ihre Rätselsätze, die sich beispielsweise wie folgt anhörten: „Ich habe gesagt und jeder kann es sagen jeder könnte es sagen dass Wissen ist was man weiß.“

Eine Sprache, die jeder Kerl kapieren könnte, hatte für Gertrude Stein keinen Wert. Sehr viele Menschen kennen den Satz: „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose …“. Aber die Wenigsten wissen, dass er von Gertrude Stein stammt. Rose ist keine Blume, sondern eine Figur eines Kinderbuchs, das die Schriftstellerin und Kunstsammlerin 1939 unter dem Titel „The World is round“ veröffentlichte. Das Kind ist misstrauisch, es glaubt ihren Lehrern nicht, dass die Welt einen Kugel ist. Das Mädchen lebte so, wie auch Gertrude Stein lebte. Denken, suchen, finden und benennen waren die intellektuellen Bausteine ihres Lebens.

Kurzbiographie: Gertrude Stein

Gertrude Stein wurde am 3. Februar 1874 in Allegheny, Pennsylvania, geboren. Als sie fünf Jahre alt war, zog ihre Familie nach Baltimore um. Ab 1893 studierte Gertrude Stein zuerst Philosophie am Radcliffe College, später dann Medizin an der John Hopkins University in Baltimore. Nachdem sie beim Examen durchgefallen war, zog sie mit ihrem Bruder Leo 1903 nach Paris. Zwei Jahre später kaufte sie ihr erstes Bild von Henri Matisse. Ein Jahr später stand sie Pablo Picasso Modell. 1907 lernte sie Alice B. Toklas kennen, mit der sie zusammenlebte, nachdem ihr Bruder Leo aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und nach Florenz übersiedelt war.

In der Buchhandlung von Sylvia Beach „Shakespeare & Company“ trafen die beiden Frauen die berühmtesten Schriftsteller ihrer Zeit, von Scott Fitzgerald bis Paul Bowles. In den dreißiger Jahren hielt Gertrude Stein Vorträge in England und Amerika. Im Zweiten Weltkrieg lebte Gertrude Stein im Süden von Frankreich auf dem Land. Zu ihren Veröffentlichungen zählen unter anderem „Drei Leben“ (Erzählungen, 1909), „Tender Buttons“ (Gedichte, 1915), „The Making of Americans“ (Roman, 1925), „Picasso“ (1938) und die „Autobiografie von Alice B. Toklas (1933). Sie erlag am 27. Juli 1946 in Paris einem Krebsleiden.

Von Hans Klumbies