Jeder Mensch kann sein persönlichen Ängste regulieren

Gesunde Angst ist ein Mechanismus des Schutzes, der das Überleben eines Menschen sichert. Sie warnt und hält einen davon ab, unverantwortliche Risiken einzugehen. Georg Pieper ergänzt: „Zugleich mobilisiert Angst Kräfte, um eine Gefahrensituation zu überstehen und etwa bei einer Schlägerei oder einem Hausbrand schnell weglaufen zu können.“ Aber es gibt eben auch übertriebene Angst, die einen Menschen nicht schützt, sondern im Gegenteil eher Probleme macht. Sie hat einen negativen Einfluss auf das Lebensgefühl und die Lebensgestaltung, und sie vergiftet das Klima in der Gesellschaft. Dieser Angst sollte man deshalb nicht die Macht über sein Denken und Handeln überlassen, sondern dafür sorgen, dass sie von Stärke, Selbstbewusstsein, positiven Gefühlen und Zuversicht gelenkt werden. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

Viele Menschen sind bei echten Herausforderungen schnell überfordert

Die Mittel, seine persönlichen Ängste zu regulieren, besitzt der Mensch. Davon ist Georg Pieper als Psychologe überzeugt. Man muss nur lernen, sie zu nutzen. In den westlichen Industrienationen sind die Lebensbedingungen heute besser als je zuvor in der Geschichte. Das macht die Menschen allerdings auch anfälliger für Ängste, denn sie sind schlicht nicht mehr krisenerprobt. Die Nachkriegsgenerationen sind sorgenfreier aufgewachsen als sämtliche Generationen vor ihnen. Ein Leben ohne existenzielle Katastrophen wie Krieg oder Hungersnot ist für diese Menschen der Normalzustand.

Das macht die Menschen im Laufe der Zeit empfindlicher. Georg Pieper erklärt: „Es klingt vielleicht hart, aber wir sind nach meiner Einschätzung verweichlicht.“ Georg Pieper will damit nicht sagen, dass man mal wieder ein paar Katastrophen oder eine Krieg braucht, um psychisch robuster zu werden. Aber die Empfindlichkeit ist natürlich die Kehrseite eines behüteten Lebens. Die meisten Menschen haben keine Übung darin, echte Herausforderungen zu bewältigen, und sind sehr schnell überfordert.

Krisen können in wirklich jedem Leben vorkommen

Um schwierigen Situationen besser gewachsen zu sein und die Angst davor auf ein gesundes Maß herunterzuregulieren, muss man seine Krisenkompetenz stärken. Unter Krisenkompetenz versteht Georg Pieper zunächst einmal, dass man sich grundsätzlich mental auf Krisen vorbereitet, ohne sich verrückt zu machen. Krisen kommen und Krisen gehen. Um das zu veranschaulichen, benutzt Georg Pieper in Anlehnung an den griechischen Philosophen Heraklit gerne das Bild von einem Fluss. Der Fluss fließt manchmal ruhig daher, manchmal hat er Stromschnellen oder einen Wasserfall.

Auch der eigene Lebensfluss ändert sich ständig, birgt Gefahren und schwierige Etappen. Darauf muss man sich vorbereiten und lernen, ein guter Schwimmer in diesem Lebensfluss zu sein. Es ist nicht selbstverständlich, dass alles immer glattläuft und einfach ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass es einem immer so gut geht, wie es einem in diesem Moment geht. Das kann sich schlagartig ändern, indem sich etwas Schwieriges oder Schlimmes ereignet. Georg Pieper rät jedem dazu, sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Krisen können in wirklich jedem Leben vorkommen, das muss man sich bewusst machen. Quelle: „Die neuen Ängste“ von Georg Pieper

Von Hans Klumbies