Kein Mensch sollte seine Ängste verdrängen

Um Ängsten die Macht über die eigene Person zu nehmen, muss man sie sich erst einmal eingestehen, sei es die Angst vor Terror, vor fremden Menschen oder vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Georg Pieper weiß: „Wir können Ängste nicht in den Griff bekommen, indem wir sie ignorieren und nicht über sie sprechen. Im Gegenteil, wenn wir ihnen keine Beachtung schenken, gären sie in uns und wachsen weiter. Das kann man mit jemanden vergleichen, der Angst vor dem Zahnarzt hat. Auch Zahnschmerzen lassen sich nun einmal nicht auf Dauer ignorieren. Irgendwann ist der Schmerz so stark, dass man richtig leidet. Und so ist das auch mit der Angst. Deswegen sollte man Ängste nicht verdrängen. Sie bahnen sich immer ihren Weg und beherrschen am Schluss einen Menschen vollständig. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

Gespräche über die eigenen Ängste haben eine stark entlastende Wirkung

Es gibt viele Menschen, die zwar Angst empfinden, diese aber überspielen, weil sie zum Beispiel denken, sie dürften aufgrund ihrer Position keine Angst haben. Dieses Problem haben häufig Polizisten, Feuerwehrleute und Soldaten. Sie tun so, als wären sie vollkommen furchtlos, und überfordern sich damit. Auch Menschen mit bestimmen Wertvorstellungen gestehen sich ihre Ängste manchmal nicht ein, weil diese nicht in ihr Weltbild passen. Aus seiner Therapiearbeit weiß Georg Pieper, seine Angst dauerhaft zu überspielen gelingt oftmals nur mithilfe sedierender Medikamente oder von Alkohol.

Georg Pieper rät: „Wichtig ist daher, dass man sich eingesteht, Angst zu haben, und diese unguten Gefühle zulässt.“ Es gibt einen wunderbaren Satz von Sokrates: „Alles, was wir in Worte fassen können, können wir hinter uns lassen.“ Mit einem vertrauten Menschen über seine Ängste zu sprechen hat eine stark entlastende Wirkung. Dieser befreiende Effekt stellt sich allerdings nur in konstruktiven, tiefer gehenden Gesprächen ein. Georg Pieper rät dazu, sich für Gespräche über die eigenen Ängste oder das eigenen Unsicherheitsgefühl Zeit zu nehmen.

Vermeidung führt immer zu einer Verstärkung der Angstproblematik

Sinnvoll ist es außerdem, den ersten Schritt zu machen. Das bedeutet, initiativ auf ausgewählten Menschen zuzugehen, die eigenen Gedanken und Gefühle anzusprechen und dann den anderen zu fragen, wie es ihm damit geht. So kommt man in einen tieferen Austausch. In der Regel – so zeigt Georg Piepers Erfahrung – reduzieren sich die Ängste unmittelbar, wenn man über sie spricht. Allein das Sprechen darüber ist wie eine Katharsis. Es befreit von dem inneren Druck, und man beruhigt sich.

Spricht man mit mehreren Menschen über seine Ängste, kann außerdem ein unterstützendes Gefühl der Solidarität entstehen. Georg Pieper erläutert: „Wir sind viele, wir äußern unsere Angst, aber am Ende sind wir stärker.“ Zu den sichersten Erkenntnissen aus der Traumaforschung zählt, dass Vermeidung immer zu einer Verstärkung der Angstproblematik beiträgt. Wenn man sie besiegen will, muss sich seinen Ängsten deshalb stellen. Man muss sich durch ihren Sturm kämpfen und wird dann ruhig und kann klar denken. Quelle: „Die neuen Ängste“ von Georg Pieper

Von Hans Klumbies