Selbstkompetenz ist wichtiger als Medienkompetenz

In seinem Buch „Digitale Hysterie“ hat Georg Milzner darauf hingewiesen, dass Selbstkompetenz heute wichtiger sein muss als Medienkompetenz. Die Angleichung an den Rhythmus der Maschinen setzt seiner Meinung nach fundamentale menschliche Prozesse außer Kraft oder blockiert, stört oder verhindert die Herausbildung dessen, was man ein „reifes Selbst“ nennt. Doch wer meint, das Fehlen von Selbstaufmerksamkeit und Selbstkompetenz lasse sich ausschließlich mit Smartphone und Co. erklären, verkennt, dass das Problem in seinen Wurzeln viel älter ist. Der Kunsthistoriker Jonathan Crary verortet den Ursprung der Probleme mit der Aufmerksamkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Einerseits versprach das Maschinenzeitalter neuartige Chancen der Selbstpräsentation und des schnellen Geldmachens, andererseits schuf die ständig anwachsende Summe an Möglichkeiten ein neuartige Atmosphäre der Überreizung.“ Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

Aufmerksamkeit bedeutet Hinwendung

Wenn man der schwindenden Selbstaufmerksamkeit nachgeht, kann man fragen, worin Aufmerksamkeit selbst denn eigentlich besteht. Dabei spielt es eine sehr bedeutsame Rolle, worauf sich die Aufmerksamkeit eines Menschen richtet. Noch die scheinbar unaufmerksamste Person verfügt nämlich über Aufmerksamkeit. Georg Milzner erläutert: „Nur ist diese Aufmerksamkeit anders gebunden, als wir das erwarten würden. Womöglich ist sie eher auf das Innere als auf das Äußere gerichtet. Und macht damit so wenig Kommunikation erforderlich.“

Es liegt nahe, anzunehmen, dass Aufmerksamkeit irgendetwas mit Interesse zu tun hat. Interesse ist dort beteiligt, wo es sich um Aufmerksamkeit aus Neigung handelt. Aber es gibt auch deren Gegenstück. Das hat damit zu tun, dass es nicht gelingen will, die eigene Aufmerksamkeit zu steuern. Das passiert zum Beispiel da, wo Menschen Lärm ausgesetzt sind. Lärm zu ignorieren ist ungemein schwer. Und in der Mehrzahl der Fälle gelingt es nicht. Wie also lässt sich Aufmerksamkeit definieren? Man könnte sagen, Aufmerksamkeit bedeutet Hinwendung.

Selbstaufmerksamkeit ist Hinwendung zu sich selbst

Diese Hinwendung kann bewusst oder unbewusst sein, stärker oder schwächer ausgeprägt, sie kann flüchtig sein oder gehalten werden. Nicht immer ist wirkliches Interessen an ihr beteiligt, wo aber Interesse zur Hinwendung hinzutritt, da wird die Aufmerksamkeit dichter und man ist konzentrierter. Und wie definiert man Selbstaufmerksamkeit? Selbstaufmerksamkeit wäre, dieser Definition folgend, Hinwendung zu sich selbst. Eine Hinwendung, durch die man sich wahrnimmt und fühlen kann, durch die man weiß, was in einem vorgeht, und die es ermöglicht, die wesentlichen Reize, die der Organismus dem eigenen Selbst sendet, zu erkennen.

Selbstaufmerksamkeit gibt also einem Menschen die Chance, seinen inneren Kosmos zu ergründen. Georg Milzner erklärt: „Kurz: Selbstaufmerksamkeit macht, dass wir uns selbst ein Erlebnis sind. Selbstaufmerksamkeit meint auch, ein Interesse an sich zu haben.“ Dies hat durchaus banale Seiten. Zum Beispiel, dass man auf seinen Körper achtgibt. Dass man nicht mehr trinkt, als dem Wohlbefinden nützt. Aufmerksam zu sein für das, was Erfahrungen in einem auslösen. Nachzuspüren, wie ein Bild, ein Film, eine Lektüre in einem weiterwirkt. Quelle: „Wir sind überall, nur nicht bei uns“ von Georg Milzner