Wolf Singer vergleicht Geldgier mit Drogensucht

Hirnforscher Wolf Singer weiß, was im Gehirn passiert, wenn ein Mensch geldgierig wird. Er kennt bestimmte Bereiche im Gehirn, die aktiv werden, wenn man gierig wird, egal wonach, das gilt nicht nur für Geld. Wolf Singer erklärt: „Dabei gibt es Überlappungen mit jenen Bereichen, die auch bei Suchtverhalten aktiv werden. Die Gier nach Geld kann durchaus vergleichbar sein mit der Sucht nach einer Droge.“ Börsenhändler, die mit mehreren Milliarden Dollar spekulieren, können bei ihren Geschäften von einer Suchtkomponente beeinflusst werden, die der Spielsucht nicht unähnlich ist. Der natürliche Trieb nach Wohlstand und Sicherheit reicht zur Erklärung der Umtriebe von Spekulanten nicht aus. Hier geht es wohl auch um die Lust am Risiko, am Spiel, die bis zur Abhängigkeit führen kann.

Nicht lineare Prozesse lassen sich auch nicht von einer höheren Instanz steuern

Die Risiken auf den Finanzmärkten sind laut Wolf Singer auch deswegen so unkalkulierbar geworden, weil ihre Komplexität ins Unermessliche gestiegen ist. Wolf Singer sagt: „Sie entwickeln aufgrund ihrer Verflochtenheit eine nicht lineare Dynamik. Die Folge ist, dass man Entwicklungen prinzipiell nicht voraussehen kann.“ Für den bekanntesten deutschen Hirnforscher ist es eine weit verbreitete Illusion, dass es einer höheren, alles lenkenden Institution gelingen könnte, sei es die Europäische Zentralbank, sei es die Europäische Union, eine längerfristige Entwicklung solcher nicht linearen Prozesse steuern zu können.

Laut Wolf Singer sind komplexe Systeme nicht zentralistisch zu steuern. Dies sei auch ein Grund, warum Planwirtschaften zum Scheitern verurteilt sind. Er erklärt: „Solche Systeme erlangen nur dann Stabilität, wenn sie ihre Architekturen nach evolutionären Prinzipien selbst organisieren können. Das Gehirn etwa hat 10 hoch 11 eng verflochtene Nervenzellen und ist trotz seiner ungeheuren Komplexität stabil.“

Entscheidungen richten sich nicht nur nach den Kosten und dem Nutzen

Die Grundstruktur eines Gehirns ist gemäß Wolf Singer immer gleich. Er vermutet, dass verschiedene Fähigkeiten vermutlich auf Eigenheiten in der Feinschaltung beruhen, die ihrerseits die Dynamik des Systems bestimmen. Aber dies lässt sich bis heute kaum erfassen. Auch die Theorie des Homo oeconomicus, des Menschen, der sich wirtschaftlich immer vernünftig verhält, greift für Wolf Singer zu kurz. Er erklärt: „Es gibt noch andere Motive, die Entscheidungen beeinflussen, als die reine Kosten-Nutzen-Rechnung.“

Wolf Singer gibt zwar zu, dass diese bei Entscheidungen sicher eine große Rolle spielt, aber das Handeln der Menschen werde auch von Fairness, Empathie, Zu- und Abneigung oder von Rachsucht, Habgier und dem Wunsch, siegen zu wollen, beeinflusst. Seine bekannteste These, dass der freie Willen nicht existiert, relativiert der Gehirnforscher wie folgt: „Als ich von der Nicht-Existenz des freien Willens sprach, war gemeint: Sie haben keinen Einfluss darauf, welche Informationen Ihr Gehirn Ihrem Bewusstsein als Entscheidungsgrundlage bereitstellt.“

Von Hans Klumbies