Die Entfremdung ist ein durchgängiges Motiv in Friedrich Hölderlins Dichtung

Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) gehört, wie der früh verstorbene Novalis, zu den Autoren, deren Leben und Werk zum Mythos geworden ist. Seine Gedichte beeindrucken durch große sprachliche Dichte, Reichtum der Gedanken, Füllen an Bildern und Symbolkraft. Sensibilität uns Schwermut verbinden sich mit der Hoffnung auf Wiederherstellung der zerstörten menschlichen und gesellschaftlichen Harmonie zu einer Form des politischen Gedichts, dem alles Agitatorische fehlt, das aber durch die Tiefe der Empfindung, der Moralität und politischen Integrität, sprachlichen Gestus und ästhetischer Formung überzeugt. Im idealisierten Griechenland fand Friedrich Hölderlin den Orientierungspunkt für seine Konzeption der Humanität. Die Verwendung antiker Strophenformen war keine äußerliche Übernahme tradierter Formen, sondern Ausdruck inniger Verbundenheit mit der Antike und deren rückerinnernden Aktualisierung. Neben den strengen antiken Versformen stehen die späten, zu freien Rhythmen übergehenden Hymnen und Elegien, in denen die Sehnsucht nach dem verlorenen Griechenland zum Ausdruck kommt. Beispiele sind „Archipelagos“, „Mnemosyne“ und „Patmos“.

Friedrich Hölderlin hielt an den Idealen der Französischen Revolution fest

Auch die zahlreichen Naturgedichte Friedrich Hölderlins sind durchdrungen von der Sehnsucht nach der verloren gegangenen Verbindung zwischen Mensch und Natur. Die schmerzliche Erfahrung von Entfremdung ist ein durchgängiges Motiv in Friedrich Hölderlins Dichtung, die die seine Zeitgenossen nur wenig Verständnis aufbrachten. Erst im 20. Jahrhundert sind die Bedeutung Friedrich Hölderlins und der humanitär-politische Gehalt seines Werkes erkannt und gewürdigt worden. Erschwert wurde die Rezeption durch die Tatsache, dass viele Gedichte, besonders die der Spätzeit, nur in schwer entzifferbaren Handschriften vorliegen und die Herausgeber vor fast unlösbare Probleme stellen.

Isoliert war Friedrich Hölderlin zu seiner Zeit vor allem durch das Festhalten an den Idealen der Französischen Revolution. Zusammen mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling hatte er sich bereits als Student im Tübinger Stift dafür begeistert. So ist beispielsweise der „Hyperion (1797/99) als eine politische Konfession interpretiert worden, in die die Auseinandersetzungen des Autors mit der Französischen Revolution und den Möglichkeiten einer revolutionären Veränderung in Deutschland eigegangen sind.

Die Möglichkeiten der politischen Veränderung waren sehr gering

Hyperions avanciertes politisches Bewusstsein, das ihn von den Helden des Bildungs- und Entwicklungsroman unterscheidet, und sein Verlangen nach Freiheit für sich und die anderen – er nimmt am griechischen Befreiungskampf aktiv teil – stoßen auf verfestigte gesellschaftliche Formen und bleiben ohne Resonanz und Erfolg. Die Verbindung von Privatem und Politischem, die Hyperion zu leben versucht, scheitert angesichts der vorgegebenen gesellschaftlichen Strukturen. Seine Identität kann Hyperion nur in der Isolierung bewahren.

Die dem „Wilhelm Meister“ zugrunde liegende Hoffnung Johann Wolfgang von Goethes, „dass der Mensch trotz aller Dummheit und Verwirrungen, von einer höheren Hand geleitet, doch zum glücklichen Ziel gelange, ist bei Friedrich Hölderlin der schmerzlichen, auf politischen Erfahrungen beruhenden Einsicht gewichen, dass der Glücksanspruch des Individuums in der damaligen Gesellschaft nicht befriedigt werden konnte. Die Desillusionierung über die Möglichkeiten politischen Handelns und politischer Veränderung teilte Friedrich Hölderlin mit seinem Helden Hyperion. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler

Von Hans Klumbies