Die romantische Liebe ist eine kollektive Arena

Die romantische Liebe, so meinen einige, sei das letzte noch verbliebene Refugium jener Authentizität und Wärme, die den Menschen von einem zunehmend technokratischen und legalistischen Zeitalter geraubt worden seine. Eva Illouz fügt hinzu: „Für andere wiederum ist sie eine Ideologie, die Frauen versklavt, Symptom für das Ende der öffentlichen Sphäre oder Flucht aus sozialer Verantwortung.“ Eva Illouz untersucht, in welcher Beziehung die romantische Liebe zur Kultur und den Klassenverhältnissen des Spätkapitalismus steht. Vor allem geht sie dabei der Frage nach, wie es zum Zusammenstoß zwischen Liebe und Kapitalismus gekommen ist. Es geht ihr darum, die Formen und Mechanismen zu verstehen, in der romantische Gefühle in Wechselwirkung mit der Kultur, der Ökonomie und der sozialen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus stehen. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.

Die romantische Liebe ist eng mit dem demokratischen Wohlstandsideal verknüpft

Der Kapitalismus ist bekanntlich eine janusköpfige Einheit. In dem Maße, in dem er die Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen in den Markt fördert, hat er einen wirkungsmächtigen Raum gemeinsamer Symbolik geschaffen, der von den beiden Sphären Konsum und Massenmedien zusammengehalten wird. Doch der Kapitalismus eint nicht nur, in seiner industriellen Phase schuf er heftige Klassenkonflikte, in seiner postindustriellen Phase hat er die gesellschaftlichen Klassen in immer kleinere Gemeinschaften von Gruppen des Konsums oder Lebensstils aufgespalten.

Einerseits also ermöglicht es der Kapitalismus, dass jeder an der ökonomischen und symbolischen Sphäre des Konsums teil hat, andererseits bedarf er der Konzentration von Reichtum und der Legitimation sozialer Teilungen, um sich selbst zu erhalten und zu reproduzieren. Eva Illouz behauptet, dass die modernen Definitionen und Praktiken der Liebesbeziehung eng mit diesem Dualismus des Konsumkapitalismus verknüpft sind. Die romantische Liebe ist zu einem intimen und unentbehrlichen Teil des demokratischen Wohlstandsideals geworden.

Die sexuelle Erregung wird zum kodifizierten Gefühl der Liebe

Eva Illouz stellt folgende Grundthese auf: „Die romantische Liebe ist eine kollektive Arena, in der die sozialen Teilungen und kulturellen Widersprüche des Kapitalismus ausgetragen werden.“ Auf dem Weg von der sexuellen Erregung zum kodifizierten Gefühl der Liebe spielt die Kultur mindestens eine dreifache Rolle. Zum Ersten versieht sie die physiologische Erregung mit einer Bedeutung, indem sie diese „etikettiert“. Beispielsweise kann sexuelle Erregung je nach kultureller Tradition unterschiedlich interpretiert werden.

Zum Zweiten enthalten diese Etiketten Bedeutungen, die in eine ganze Reihe von Normen, Vorschriften und Verboten eingebettet sind. Zum Dritten legen kulturelle Werte fest, wie die Intensität einer physiologischen Erregung zu bewerten ist. So würde beispielsweise die romantische Tradition wahrscheinlich ihr Anfangs- und intensivstes Stadium als exemplarischen Ausdruck „wahrer“ Liebe bevorzugen, während realistische Traditionen ihren Blick eher auf ihre nachlassende Intensität und turbulente Manifestationen richten würden. Quelle: „Der Konsum der Romantik“ von Eva Illouz im Reclam Heft „Was ist Liebe?“