Ernst Fraenkel untersucht die Geschichte der öffentliche Meinung

Ernst Fraenkel definiert die öffentliche Meinung als die unorganische Weise, wie sich das, was ein Volk will und meint, zu erkennen gibt. Was sich wirklich im Staat geltend macht, muss sich seiner Meinung nach allerdings auf organische Weise betätigen, und das ist in der Verfassung der Fall. Aber zu allen Zeiten war die öffentliche Meinung eine große Macht und ist es besonders in der Demokratie, wo das Prinzip der subjektiven Freiheit diese Wichtigkeit und Bedeutung hat. Ernst Fraenkel schreibt: „Was jetzt gelten soll, gilt nicht mehr durch Gewalt, wenig durch Gewohnheit und Sitte, wohl aber durch Einsicht und Gründe.“ Ernst Fraenkel weist auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel hin, der die eigentliche Bedeutung der Stände darin erblickte, dass der Staat dadurch in das subjektive Bewusstsein der Bürger tritt und dass er an demselben teilzunehmen anfängt.

Die Reichsstände hatten die Funktion die öffentliche Meinung zu gestalten

Die Stände, mit denen sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel auseinandersetzte, hatten freilich noch nicht die Funktion, rechtswirksame Beschlüsse zu fassen. Ernst Fraenkel erläutert: „Ihre Bedeutung ist nicht in ihren staatlichen Kompetenzen, sondern in ihrer Funktion als Gestalterin der öffentlichen Meinung zu erblicken.“ Der vordemokratische Charakter der Stände zeigt sich auf darin, dass die öffentliche Meinung zwar von ihnen geformt, sie selbst aber nicht von der öffentlichen Meinung abhängig sein sollten.

An Stelle dieser unilateralen Beziehung ist im modernen Verfassungsstaat die Wechselbeziehung von Parlament und öffentlicher Meinung getreten. Friedrich Julius Stahl hat in den Reichständen das bedeutendste und berufenste Organ der öffentlichen Meinung erblickt und darauf aufmerksam gemacht, dass die öffentliche Verhandlung der Stände das politische Interesse und Urteil des gesamten Volkes erwecke. Er hat den Ständen als Organ der öffentlichen Meinung die Aufgabe zugewiesen, die Regierung zu nötigen, sich an ihnen zu erproben.

Vor der Französischen Revolution war das Parlament unabhängig von der öffentlichen Meinung

In dem Problem Parlament versus öffentliche Meinung kreuzen sich laut Ernst Fraenkel zwei geschichtliche Entwicklungslinien. Erstens die eruptiv in Erscheinung tretende Vorstellung der Französischen Revolution, dass ein Volk sich selbst regieren könne, solange ein Parlament sich mit der Aufgabe begnügt, eine Volksvertretung zu sein und nicht den Anspruch darauf erhebt, das Volk zu repräsentieren. Zweitens die englische Vorstellung eines gerade um seine repräsentativen Charakter willen souveränes Parlament.

Ernst Fraenkel schreibt: „Die Unabhängigkeit des Parlaments von der öffentlichen Meinung wurde bis zum Vorabend der Französischen Revolution dadurch gewährleistet, dass die Parlamentsverhandlungen geheim gehalten und Verstöße gegen die Geheimhaltungspflicht als Bruch der Parlamentsprivilegien bestraft wurden.“ Das moderne Parlament dagegen ist aus einer Amalgamierung der Institution des antidemokratischen Repräsentationsorgan Englands und der antipräsentativen demokratischen Ideologie Frankreichs hervorgegangen.  

Kurzbiographie: Ernst Fraenkel

Ernst Fraenkel, geboren 1898, studierte Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main. Er promovierte bei Hugo Sinzheimer. Gemeinsam mit Franz Neumann war er von 1927 bis 1933 Rechtsanwalt in Berlin. Seine Anwaltstätigkeit setzte er nach 1933 unter eingeschränkten Bedingungen in Berlin bis 1938 fort, als er in die USA fliehen musste. Seit 1951 war Ernst Fraenkel Dozent, von 1953 bis 1967 Professor an der Deutschen Hochschule für Politik, dem späteren Otto-Suhr Institut der Freien Universität Berlin. Er ist einer der Mitbegründer der politischen Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ernst Fraenkel starb 1975 in Berlin.

Von Hans Klumbies