Moralische Abscheu wird an Ekel geknüpft

Ekel ist ein „starkes“ Gefühl. Bis vor einiger Zeit gingen Psychologen und Anthropologen noch davon aus, dass er vor allem ein kulturelles Phänomen darstellt und den Menschen dazu dient, die animalischen Anteile ihrer Existenz und ihre Sterblichkeit zu verdrängen. Aber das stimmt so nicht. Ekel hat einen deutlich handfesteren Sinn. Das Gefühl schützt vor Krankheitserregern, vor Parasiten, Bakterien, Viren. Es lässt sich als Immunsystem des menschlichen Verhaltens verstehen. Menschen meiden instinktiv das, was ihnen schadet oder krank macht. Diesen evolutionsbiologischen Zusammenhang hat die britische Wissenschaftlerin Valerie Curtis von der London School of Hygiene und Tropical Medicine aufgedeckt. Die Professorin sagt: „Ich wollte verstehen, warum sich Menschen hygienisch verhalten.“ Sie stellte fest, dass sich die Leute die Hände waschen, wen sie vorher etwas eklig fanden.

Vor einigen Dingen ekeln sich Menschen auf der ganzen Welt

Es gibt zwar kulturelle Unterschiede im Empfinden von Ekel, aber vor einigen Dingen ist er universell: Alle Menschen verabscheuen verdorbenes Essen, Exkremente, Eiter, Leichen. Mit Keimen infizierter Kot etwa hat ein hohes Ansteckungspotenzial für Darmerkrankungen wie Durchfall. Und an den Folgen von verunreinigtem Essen sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) pro Jahr weltweit rund zwei Millionen Menschen. Was bei jedem Menschen Ekel auslöst, scheint Kleinkinder und Babys allerdings nicht zu stören. Mit größtem Interesse untersuchen sie ihre Exkremente oder schleimige Schnecken.

Valerie Curtis erklärt allerdings: „Die Fähigkeit, sich zu ekeln, ist angeboren.“ Aber wovor jemand Abscheu empfindet, muss erst erlernt werden. Im Lauf der Zeit schauen Kinder dann von Erwachsenen ab, was sie besser anwidern sollte. Ekel leistet Erziehungsarbeit. Auch durch eigene Erfahrungen formt sich das Empfinden für Abscheuliches. Valerie Curtis erklärt: „Wer einmal verdorbene Milch getrunken hat, tut es nicht wieder.“ Ekel konditioniert Menschen zusätzlich auch noch auf einer anderen Ebene.

Ekel zählt zu den Basisemotionen

Ekel macht deutlich, was gesellschaftlich akzeptiert ist und was weniger gern gesehen wird. So widern Menschen nicht nur eitrige Wunden an, sondern auch unmoralische Taten: Vergewaltigung, Missbrauch von Kindern, Lügen von Politikern. Rudolf Stark, Professor für Psychotherapie und Systemneurowissenschaften an der Universität in Gießen, erklärt: „Moralische Abscheu wird an Ekel geknüpft. Es ist ziemlich raffiniert, ein so starkes biologisches Abwehrsystem zu nutzen, um gesellschaftliche Vorstellungen zu transportieren.“

Rudolf Stark hat mithilfe von Hirnscans herausgefunden: „Manche Phobien sind vielleicht sogar mehr eine Ekel- als eine Angststörung.“ Etwa Phobien vor Blut und Injektionen. Der Forscher zählt Ekel zu den Basisemotionen. So nennen Psychologen jene Gefühle, die tief im Menschen verwurzelt sind, die ihren Ursprung in der Stammesgeschichte des Menschen haben. Zusätzlich ist der Ekel aber auch immer eingebettet in den gesellschaftlichen Zusammenhang ihrer Zeit. So hat sich beispielsweise die Schwelle für Ekel im Lauf der Jahrhunderte deutlich verringert. Quelle: Apotheken Umschau

Von Hans Klumbies