Einseitige Liebe kann niemals zur Intimität führen

Die Soziologin Eva Illouz wird in ihren Büchern nicht müde, darauf hinzuweisen, dass das Problem der modernen Liebe im Übergriff des Kapitalismus auf die Gefühle besteht. In der hyperkapitalisierten Welt von heute lasse sich keine Intimität mehr herstellen, ohne dass diese andauernd von Konkurrenzangeboten bedroht werde. Die Liebe will die Menschen, wie der Psychoanalytiker Erich Fromm es bereits in seinem 1956 erschienenen Buch „Die Kunst des Liebens – ausdrückte, vom „Schrecken der Getrenntheit“ erlösen. Matthias Horx ergänzt: „Intimität ist dabei ein wichtiger Schlüssel.“ Ziyad Marar beschreibt in seinem Buch „Intimacy“ die Intimität als Erleben in vier Dimensionen, in „vier Spiegeln“. Sie ist demnach immer gegenseitig, verschwörerisch, emotional und freundlich. Intimität ist die Errichtung eines nach außen abgeschlossenen Raumes, einer mentalen und emotionalen Blase. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

In der Masse kippt Intimität ins Aggressive

Die Intimität bildet jenen Raum, in dem die Erfahrung des Liebesrausches, des „die Welt mit denselben Augen sehen“ dauerhaft werden kann. Intimität ist immer gegenseitig, weil einseitige Liebe niemals zu Intimität führen kann. Sie ist verschwörerisch, weil Intimität immer auf Abgrenzung basiert. Allerdings müssen sich nicht immer nur zwei Menschen in dieser Blase befinden. Ziyad Marar beschreibt auch Situationen der verschworenen Gruppe. Auch schaffen Rituale und zum Beispiel Gottesdienste intime Raum-Zeit-Blasen.

Auch Familien bilden einen vielschichtigen intimen Raum. Politische Großereignisse können eine Synchronisation der Wahrnehmung erzeugen – populistischer Furor, das Geschrei bei Wahlkampf-Veranstaltungen in großen Sälen kann Intimität simulieren. Allerdings nimmt mit der Anzahl der Menschen die Intensität ab. Dort, wo Masse, Mob oder Meute entsteht, kippt Intimität eher in ihr Gegenteil, ins Aggressive, das eigentlich auf Unsicherheit und Unverbundenheit basiert und diese kompensiert.

Intimität ist etwas Kostbares und Nichtvergleichbares

Echte Intimität basiert nie auf Gleichschaltung, sondern immer auf Differenzierung, auf Komplexität von Wahrnehmungen und Gefühlen. Sie ist etwas sehr Spezifisches, Kostbares, Spezielles, Nichtvergleichbares. Liebe ist, so drückt es der französische Philosoph Yann Dall`Aglio aus, „das Begehren, begehrt zu werden“. Viele Menschen assoziieren Intimität in diesem Sinne ausschließlich mit Sexualität. „Intim werden“ heißt es steif im Deutschen über den Sex. Wer sich diesen Akt in einem Eheschlafzimmer allerdings bildlich vorstellt, denkt eher an Routinen des Nebeneinanderher.

Aber, so der englische Philosoph Theodore Zeldin, Intimität funktioniert vor allem auch als ein „Mikroskop, das ein unsichtbares Universum enthüllt, das in der Kultur der Hierarchie und der Vortäuschung verborgen bleibt. Wir wollen unsere Privatheit wahren, aber wir wollen auch als Besondere erkannt werden … Intimität dient gleichzeitig dem Bedürfnis des Verbergens und des tiefen Strebens nach Entblößung und Gesehenwerden – so, wie man wirklich ist.“ Quelle: „Future Love“ von Matthias Horx

Von Hans Klumbies