Eifersucht unter Geschwistern ist ganz normal

Nur wer als Einzelkind geboren wurde, kann mit völliger Sicherheit davon ausgehen, das Lieblingskind seiner Eltern zu sein. Bei mehreren Kindern in einer Familie gilt, dass die Eltern eines bevorzugen. Diese Tatsache gilt heute in der Forschung als bestätigt. Der amerikanische Soziologe Karl Pillemer von der Corell University in Ithaca fand im Rahmen einer Untersuchung heraus, dass sich etwa 70 Prozent der befragten 700 Mütter einem ihrer Kinder näher fühlen. Und der deutsche Familienforscher Hartmut Kasten geht überhaupt davon aus, dass der „Favoritismus“ – so nennen Entwicklungspsychologen das Phänomen – noch weiter verbreitet ist. Er ist der Meinung, dass es in etwa 90 Prozent aller Familien ein Lieblingskind gibt. Wem die höchste Gunst der Eltern zuteil wird, soll sich aber phasenweise verändern.

Die Zuwendung sollte sich nicht dauerhaft auf ein Kind konzentrieren

Hartmut Kasten erläutert: „Es ist absolut menschlich, sich in manchen Phasen der Entwicklung oder je nach Situation dem einen oder anderen Kind näher zu fühlen. Erst wenn sich die Zuwendung dauerhaft auf ein Kind konzentriert, wird es für die Persönlichkeitsentwicklung und auch für die Geschwisterbeziehung problematisch.“ Favoritismus kann Geschwister entzweien und zu Eifersucht und Rivalitäten führen. Doch das ist ganz natürlich und normal. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Streitereien und Zoff zwischen Brüdern und Schwestern fit fürs Leben macht und schon früh Kindern beibringen, mit Konfliktsituationen umzugehen.

Außerdem sind Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern auch für die persönliche Entwicklung wichtig. Wie oft es zum Streit kommt, ist unter anderem von der Geschwister-Konstellation abhängig. Während Schwestern mit Schwestern und Brüder mit Brüdern eher konkurrieren, sind die Beziehungen zwischen Bruder und Schwester in der Regel harmonischer. Geschwister drängen einander nämlich dazu, ihre eigene Nische in der Familie zu finden. Hartmut Kasten erklärt: „Um ein Konkurrenzverhältnis zu vermeiden, bildet jedes Kind seine ganz eigenen Stärken und Schwächen aus.“

Eltern müssen das eifersüchtige Kind ernst nehmen

Es gibt eine klassische Konfliktsituation: Kündigt sich ein Baby an, fühlt sich der oder die Erstgeborene schnell vernachlässigt. Das ist kein Wunder, dreht sich doch auf einmal alles um die Mama und den neuen Nachwuchs. Während in der ersten Zeit nach der Geburt oft noch die Freude über den neuen Spielkameraden überwiegt, merkt das Kind schnell: Die Eltern haben plötzlich nicht mehr so viel Zeit für mich. Ältere Geschwister beginnen in dieser Phase oft zu rebellieren. Ihr Motto lautet: Aufmerksamkeit ist gleich Aufmerksamkeit, auch wenn sich diese in Schimpfen äußert.

Experten raten in diesen Fällen, das ältere Kind schon während der Schwangerschaft so gut wie möglich mit einzubeziehen und ganz genau zu erklären, was das neue Geschwisterchen für die ganze Familie bedeutet. Aber was kann man tun, wenn das Erstgeborene dennoch eifersüchtig reagiert? Die Psychologin Barbara Kahr rät: „Wichtig ist, dass Eltern diese unangenehmen Gefühle ihrer Kinder ernst nehmen und nicht ignorieren. Schimpfen und bestrafen hilft nicht, um eifersüchtiges Verhalten zu unterbinden. Wichtig ist, dass man das eifersüchtige Kind ernst nimmt, seine emotionale Verunsicherung erkennt und darauf eingeht.“ Quelle: moments – Das Magazin für die schönsten Augenblicke

Von Hans Klumbies