Dominik Geppert analysiert die Krise der Europäischen Union

Dominik Geppert vertritt die These, dass die gegenwärtige Krise der Europäischen Union nicht nur durch eine neue Feindseligkeit und wachsendes Misstrauen in den Beziehungen der europäischen Staaten geprägt ist. Auch die gravierenden ökonomischen Verwerfungen, so schlimm sie auch im Einzelnen sein mögen, sind seiner Meinung nach nicht die verheerendsten Konsequenzen. Die fatalsten Folgen hat die Krise für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Dominik Geppert fügt hinzu: „Damit erreicht sie die Tiefenschichten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und erschüttert das Fundament von Frieden und Freiheit. Rechtstaatlichkeit und Demokratie, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch die europäische Einigung gewahrt und gefestigt werden sollten, sind ernsthaft bedroht – nicht trotz, sondern wegen der Art und Weise, wie die europäischen Institutionen mittlerweile funktionieren.“ Dominik Geppert ist sein 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

Die europäischen Verträge sind immer wieder verbogen oder gebrochen worden

Die Europäische Union wird von der Idee getragen, dass Regeln eingehalten und Regelbrüche geahndet werden, hat Bundespräsident Joachim Gauck im Februar 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt. Diese Sichtweise hat sich für Dominik Geppert in der gegenwärtigen Krise als Illusion herausgestellt. Als Beispiele nennt er den Haftungsausschluss, das sogenannte Bail-out-Verbot, das umgangen worden ist und die vertraglich fixierten Aufgaben der Europäischen Zentralbank (EZB), die bis zur Unkenntlichkeit verzerrt worden sind.

Immer wieder sind laut Dominik Geppert die europäischen Verträge, die in Ermangelung einer förmlichen Verfassung den konstitutionellen Rahmen der EU bilden, verbogen oder gebrochen worden, ohne dass der Europäische Gerichtshof´, die Kommission oder das Europäische Parlament nachhaltig protestiert hätten. Diese Entwicklung ist für Dominik Geppert fatal, weil sie die Grundlagen des europäischen Einigungsgedankens untergräbt. Ohne Recht, das hat schon der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof ausgesprochen, gibt es keinen Frieden.

In den Staaten der Europäischen Union herrscht ein unverschiedliches Rechtsverständnis vor

Eine wichtige Ursache für die erst schleichende und inzwischen galoppierende Unterminierung der rechtlichen Fundamente des Euroraums liegt laut Dominik Geppert im unterschiedlichen Rechtsverständnis und in den verschiedenartigen Auffassungen vom Stellenwert des Rechts, die in den Staaten der Europäischen Union vorherrschen. Dominik Geppert erläutert: „In manchen Ländern hat die Herrschaft des Rechts eine uralte, ungebrochene Tradition. Anderswo, gerade auch bei uns in Deutschland, wurde sie durch Diktatur und Gewaltherrschaft unterbrochen.“

Die unterschiedlichen Rechtstraditionen haben in der Geschichte der EU immer wieder für Spannungen und Auseinandersetzungen gesorgt. Ähnliches galt für die Einhaltung der Kriterien des Maastrichter-Vertrages und der Zusatzbestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die Deutschen sahen darin die alles entscheidende Grundlage einer gemeinsamen Währung. Andere Länder erblickten in den Kriterien eher eine deutsche Marotte, der man irgendwie genügen müsse, um Zutritt zur Währungsunion zu bekommen.

Von Hans Klumbies