Dominik Geppert erklärt die europäische Integration nach 1945

Die europäische Integration nach dem Zweiten Weltkrieg hatte laut Dominik Geppert verschiedene Ursachen. Zum einen gab es die wirtschaftliche Notwendigkeit, die organische Verbindung zwischen den Industrieregionen an Rhein und Ruhr, im Saarland, in Luxemburg und in Lothringen wiederherzustellen. Zum anderen hatten die beiden Supermächte USA und Sowjetunion den Europäern im Rahmen des Kalten Kriegs eine Ordnung der Stabilität und Passivität aufgezwungen, die auf der Drohung gegenseitiger nuklearer Vernichtung beruhte. Der amerikanische Historiker James Sheehan stellte fest: „Die Entstehung eines neuen Europas war nicht die Ursache für einen langen Frieden nach 1945; der Friede war die notwendige Voraussetzung für das neue Europa.“ Dominik Geppert ist seit 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

Europäische Staatsmänner wollten einen neuen großen europäischen Krieg unbedingt vermeiden

Mindestens ebenso wichtig waren jedoch die gesellschaftlichen und kulturellen Lernprozesse aus zwei verheerenden Weltkriegen. Dominik Geppert erläutert: „Angesichts dieser traumatischen Erfahrungen war die Vermeidung eines neuen großen Krieges in Europa die wichtigste Lehre, die mehrere Generationen europäischer Staatsmänner nach 1945 aus der Geschichte zogen.“ Im besonderen Falle Deutschlands sind die großen Hoffnungen, die Politik und Öffentlichkeit auf das Projekt eines europäischen Bundesstaates oder Staatenbunds setzen, nur durch die Nationalgeschichte zu erklären.

In Deutschland war der Nationalsozialismus im „Dritten Reich“ wie in keinem anderen Land Europas zum Exzess gesteigert worden, hatte zu unmenschlichen Verbrechen und in den Untergang geführt. Dominik Geppert fügt hinzu: „Entsprechend positiv erschien vor diesem Hintergrund die Abkehr von Nation und Nationalismus durch Integration in die Europäische Gemeinschaft.“ Die Verdammung des Krieges und die Betonung gemeinsamer Kriegsleiden, erlaubten es, deutsche Erfahrungen zu integrieren, ohne die nationalsozialistischen Verbrechen zu verharmlosen.

Der Euro sollte einen Wirtschaftsboom auslösen und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken

Es griffe für Dominik Geppert allerdings zu kurz, wollte man die deutsche Vorliebe für einen europäischen Bundesstaat nur mit Schuldgefühlen wegen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründen. Dominik Geppert ergänzt: „Auch fehlgeleitete Analogien zur Reichseinigung 1871, zum Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Wiedervereinigung 1990 kommen ins Spiel.“ Montanunion, EWG und der Euro erscheinen aus deutscher Sicht oft als Vorläufer einer künftigen Politischen Union.

Wie der Nationalstaat eines Ottos von Bismarck im 19. Jahrhundert die deutsche Kleinstaaterei überwand, so würden, hofft man in Deutschland, die blutigen Nationalismen des 20. Jahrhunderts in der friedlichen Einigung des Kontinents verschwinden. Deutschland macht heute knapp siebzehn Prozent der Bevölkerung, rund acht Prozent des Territoriums der Europäischen Union aus und trägt etwa siebenundzwanzig Prozent zur Wirtschaftsleistung des Euro-Raumes bei. Der Euro sollte nach der Vorstellung des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl einen europäischen Wirtschaftsaufschwung auslösen und das europäische Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.

Von Hans Klumbies