Djuna Barnes: „Jede Liebe bedeutet den Tod“

Die amerikanische Schriftstellerin Djuna Barnes hat sich mit ihrem grandiosen Buch „Nachtgewächs“ in die Weltliteratur des 20. Jahrhunderts eingereiht. Über dieses Werk schreibt Djuna Barnes 1935 an ihre Freundin Emily Coleman: „Nachtgewächs, einfach so, ein einem Wort, es klingt nach Nachtschatten, nach Gift und Nacht und Wald, und nach Zähigkeit, im fleischlichen Sinn.“ Das ist sehr harmlos umschrieben. In Wirklichkeit verbergen sich in dem Meisterwerk sexuelle Übertretungen, vom Missbrauch Minderjähriger bis zum Inzest und Abarten der Bigamie. Man kann das „Nachtgewächs“ auch als ein Sittenbild der Pariser Boheme der zwanziger Jahre betrachten.

Djuna Barnes gilt heute als Ikone der Emanzipation

Das Motto ihres Hauptwerks könnte auch lauten: Jeder liebt jeden und jeder den Falschen. Djuna Barnes liebte das Leben in vertauschten Rollen. Durch einen Rollentausch konnte sie ihre eigene Sexualität besser erforschen. In „Nachtgewächs“ arbeitet die Schriftstellerin auch ihre Trennung von der Bildhauerin Thelma Wood auf, mit der sie bis 1931 eine leidenschaftliche Beziehung hatte. Sie schrieb das Buch in tiefster Trauer, völlig zurückgezogen von der Außenwelt.

In ihrem Roman „Ryder“, der 1928 in New York veröffentlicht wurde, beschreibt Djuna Barnes die Geschichte ihrer Vorfahren. Die schreckliche Hauptfigur Wendell Ryder trägt die Züge ihres Vaters. Es war die Schuld ihres Vaters, dass sie ihr ganzes Leben lang die Männer verachtete. Sie hatte keinerlei Respekt vor dem männlichen Geschlecht. In ihren Geschichten interessierte sich Djuna Barnes nur für die Lebensbereiche, die nichts mit Moral zu tun hatten, für sie bedeuteten Normen nichts. Besonders begeisterte sie sich für Obsessionen jeder Art.

Sie verspottete die Religion und die Gesetze der Schule. In ihrem Roman „Ryder“ lässt sie Wendell Ryder folgenden Satz zu einem Lehrer sprechen: „Was nützt es, wenn die Kinder den Hamlet rückwärts und die Zehn Gebote seitwärts aufsagen können.“ Die Liebe ist in den Werken von Djuna Barnes immer mit Zerstörung, Leid und Schmerzen verbunden. Jede Liebe bedeutet für sie den Tod. Von ihrem Ruhm, der Mitte der 80iger Jahre einsetzte, hat Djuna Barnes nichts mehr gehabt. Sie wurde als Ikone der Emanzipation und auch als Vorkämpferin für lesbische Beziehungen gefeiert.

Kurzbiographie: Djuna Barnes

Djuna Barnes wurde am 12. Juni 1892 in Cornwall-on-Hudson geboren. Auf Geheiß des Vaters ging das Mädchen nur kurz in die Schule. Ihre Bildung verdankte sie der Großmutter Zadel Barnes-Gustafson, mit der sie die Bibel und die Dramen von Shakespeare studierte. Als sie 19 Jahre alt war, zog sie nach New York, um Malerin zu werden. 1912 erschienen ihre ersten journalistischen Arbeiten in diversen Tageszeitungen New Yorks.

Ihre Ehe mit dem Theaterkritiker Courtenay Lemon hielt nur drei Jahre. Im Jahr 1919 übersiedelte Djuna Barnes nach Paris, wo sie im Salon der Kunstförderin Natalie Barney verkehrte. Dort lernte sie 1923 Thelma Wood kennen und lieben, mit der sie die nächsten acht Jahre zusammenlebte. Nach der Trennung von Thelma Wood fand sie in Peggy Guggenheim eine Gönnerin. 1940 kehrte sie nach New York zurück. Dort starb sie mittellos und vergessen am 18. Juni 1982.

Von Hans Klumbies