Das Internet darf keine eigenen Gesetze haben

Der Journalist und Schriftsteller Dirk Kurbjuweit, Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros in Berlin, stellt in einem Essay in der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ die Frage, was die Internetgemeinde am Thema Freiheit interessiert. Dirk Kurbjuweit gibt folgende Antwort: „Der harte Kern will Freiheit von Kontrolle, Verbot und Zensur, er will Freiheit zur Anonymität und bildet damit die Möglichkeit zum „Shitstorm“, zum digitalen Mob, der andere ungestraft mit Schmähungen übelster Art überziehen kann, und er will die Freiheit vom Urheberrecht. Das alles möglichst total: totale Freiheit im Netz.“ Laut Dirk Kurbjuweit begünstigt die totale Freiheit im Internet Orgien der Gewalt und die Ausbreitung einer Sexualität, der jegliche Scham verloren gegangen ist.

Die totale Freiheit im Internet ist nicht möglich

Diese Auswüchse berühren gemäß Dirk Kurbjuweit den Kern der Gesellschaft, denn die Gewalt im Internet und die Sexualität sind noch immer mit Tabus belegt. Seiner Meinung nach muss es Hemmschwellen geben, die verhindern, dass Menschen von anderen vernichtet werden. Dirk Kurbjuweit schreibt: „Über Killerspiele muss man reden, ein Verbot erwägen dürfen, weil sie Menschen verrohen könnten. Und Sex mit Kindern ist die Zerstörung der Kindheit und damit von Kindern, die auch als Erwachsene nicht mehr glücklich werden können. Die Zensur jeder Form von Kinderpornographie ist daher unerlässlich.“

Dirk Kurbjuweit gibt allerdings zu, dass diese Beispiele Extreme sind, mit dem der allergrößte Teil der Internetgemeinde nichts zu tun hat. Aber wegen diesen krankhaften Ausgeburten des Bösen ist seiner Meinung nach die totale Freiheit im Internet nicht möglich. Dirk Kurbjuweit erklärt: „Freiheiten werden in Demokratien fast immer nur deshalb beschränkt, weil eine Minderheit nicht damit umgehen kann.“

Die Realität und das Internet sind keine verschiedenen Welten

Dirk Kurbjuweit vertritt die These, dass eine Demokratie eine gemäßigte Debattenkultur und die Möglichkeit der Versöhnung braucht, weil es in diesem Gesellschaftssystem keine Entscheidung ohne Kompromiss gibt. Um eine vernünftige Gesetzgebung zu garantieren, müssen sich die Kontrahenten mit einem Minimum an Respekt begegnen. Dirk Kurbjuweit nennt den Grund: „Wenn eine Debatte zum großen Teil aus Hassausbrüchen besteht, ist eine Verständigung nicht möglich. Die Lager versinken in Erbitterung, die nächste Stufe ist die Gewalt.“

Dirk Kurbjuweit lehnt es strikt ab, dass das Internet eine eigene Welt ist, die eigene Gesetze haben kann. Eine demokratische Gesellschaft verträgt keine Zonen der Absonderung und Sonderregeln. Dirk Kurbjuweit erläutert: „Sie verträgt schon gar nicht eine Sonderzone, die sich zur Schule einer neuen Barbarei entwickeln könnte, weil im Schutz von Kontrolllosigkeit und Anonymität die Tabus und der Respekt verschwinden.“ Die Menschen brauchen keine zweite Welt, in der das Leben anderer schwer beeinträchtigt wird. Es hat schon genug Mühe gekostet, die erste Welt halbwegs zu zivilisieren.

Von Hans Klumbies